Unsere Vermieterin Estercita Aldinger hat neben ihren costa-ricanischen Wurzeln* auch deutsch-amerikanische der 2. Einwanderergeneration. Der Papa ist nicht mehr der Jüngste, hat’s mit dem Rücken und den Augen, und ihr neben dem Familien-Versicherungs- und Immobilien-Imperium nun auch das Abo der „California Staats-Zeitung“ übertragen. Cita kann aber, außer dem „Dännenboam“-Song, gar kein Deutsch. Also hat sie mir die aktuelle Ausgabe gebracht, in der Hoffnung, mir eine Freude zu machen.
Aber Hallo! Das ist ein Blatt:
Die gesamte (!) Titelseite sowie Seite 2 berichten über Helmut Kohl – The Movie “‘Ein Film über ein lebendes Denkmal”, auf den folgenden Seiten wird kurz (deutsche) Innenpolitik gestreift (also, der Guttenberg (konsequent ohne Titel) “hat keinen guten Eindruck hinterlassen” – bei wem? Man weiß es nicht), dann Außenpolitik: Wallstreet, Rio, Iran, Kursk. Kursk? (“Deutscher Soldatenfriedhof im russischen Kursk eingeweiht”.) Dann noch arbeitsgerichtsnotorische Maultaschen, Barabara Schönebergers Gedanken zur Diät an sich, Hans Magnus Enzensbergers achtzigster Geburtstag und “Die Päpstin startet durch”, Bundesliga, a bissele Ratgeber, Leserbriefe, Lokales, Witz- und Rätselseite (die Witze waren schon nicht mehr komisch, als noch keiner von uns auf der Welt war) und Werbung.
Seid versichert: ich zitiere hier nur das Allerbeste:
- Aus einem Leserbrief: “Die deutschen Politiker Wellenmacher, Steinbeisser und Oskar Bonaparte zeigen doch auf so lustige Weise den Abstand, den man als Auslandsdeutscher vom Geschehen in der Heimat hat. Auch wenn man brav die Staats liest und von der deutschen Verwandschaft hört, von Zeit zu Zeit den Berchtesgadener Anzeiger im Internet anklickt… “
- Noch ein Leserbrief: “Gehen Sie auf Pilgerreise nach Santiago de Compostela. Meine beiden Brüder haben es vor einigen Jahren mit ihrem Fahrrad getan. Man müsste ja nicht unbedingt die ganze Strecke per pedes wandern. Besonders als Nicht-Katholik.”
- Und aus einem letzten: “Obwohl Ihre Randbemerkungen absolut nicht einer gewissen Realität bzw. Komik entsprechen…”
- Vereinskalender Nord-Kalifornien:
– Freundschaft Liederkranz
– Germania Verein, Inc.
– San Francisco Schwaben Verein (“A Mutual Benefit Fraternal Organization”)
– The Oakland Naturfreunde
– Orden der Hermann Söhne, seit 1870 (“pflegt deutsche Sitten, Gebräuche, Sprache und Kultur”) http://www.ugas-eb.org/odhs/ - Werbung:
– “European Window Elegance – Vergleichen Sie hier – vergleichen Sie da – aber kaufen Sie bei Ursula: Deutsches Gardinen System” (mit Schleuderstäben und Gardinenscheinen)
(Ich verstehe nur Bahnhof…)
– Dittmer’s Gourmet Meats und Wursthaus, Inc.
Und dann kommt noch mein Lieblingsteil:
- Books for Sale
“Hitler’s last Victims”
The Survival Story of a Hitler Youth, 400 pages of WWII.
You read it and will recommend reading the book. The author will sign your copy. Mail $20 check to H.R. Vogt, P.O.Box 236, Dulzura, CA
http://www.amazon.com/s/ref=nb_ss?url=search-alias%3Daps&field-keywords=hitlers+last+victims&x=0&y=0
“Beyond Betrayal Beyond Humanity”
Möchten Sie Lieschens aufregende Geschichte lesen? Autorin Helga Schweininger
“Based on Lieschen Reinking’s story, Beyond Betrayal – Beyond Humanity is the human tragedy of Lieschen Reinking, a young aristocratic woman. The untimely, suspicious death of Lieschen’s mother and the suspicious disappearance of her grandmother (when Lieschen was five years old), as well as her passionate love for Robert Schweitzer, which cannot exist, are some of Lieschen’s pain-filled adversities and betrayal of her heart, next to class discrimination and her father’s attraction for Sigi Prinz, the man he wants her to marry, but whom she detests. While the mysteries of life and death, of love, hate, class afflictions, and deceit fracture Lieschen’s heart, her longings are fulfilled in an unexpected turn of events when she uncovers the truth about her mother’s death, her grandmother’s disappearance, and her controversial relationship with Robert Schweitzer.”
http://www.amazon.com/Beyond-Betrayal-Humanity-Helga-Schweininger/dp/1603882057/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1256872612&sr=1-1-spell
“Gulag”
(474 pages + map and 9 pictures)
can be ordered from Peter Schwarzlose ($24.95 + Versandkosten)
www.gulagmemoirs.com
http://www.amazon.com/Gulag-Remnants-War-Peter-Schwarzlose/dp/0977699501/ref=sr_1_4?ie=UTF8&s=books&qid=1256880195&sr=1-4
Soweit zum kompletten Angebot der deutschen Exil-Literatur in der “Staats” – Hitlerjugend, Lieschen und sibirischer Gulag. Da das von den diversen Organisationen angebotene Kulturprogramm im wesentlichen die Ausrichtung diverser Bierfeste mit musikalischer Untermalung durch die Sowieso-Buam umfasst, wundert mich so langsam das Deutschlandbild der Amerikaner nicht mehr…
Zum Schluss, denn das Blatt wendet sich auch an Exilanten aus Österreich und der Schweiz, noch ein Ösi-Schmankerl (wohlgemerkt, das ist in seiner Gänze wörtlich abgeschrieben):
“Memories of Grinzing
von Karin Memmert
Der Garten der österreichischen Residenz war festlich beleuchtet, die Tische waren wunderschön in den österreichischen Farben gedeckt, und die drei Gänge des schmackhaften Dinners (gemischter Salat, Schweinebraten mit Sauerkraut und Kartoffeln und Käsetorte mit frischem Obst) wurden an den Tischen serviert. Den ganzen Abend sang Renate Halstead, von Frank Lenz am Akkordeon begleitet, Melodien aus Wien und den umliegenden Ländern; nach dem Abendessen wurde zu der wunderbaren Musik auch noch getanzt.
Der Austrian-American Day wurde vor zwölf Jahren zum ersten Mal gefeiert, und wieder fließt dieses Jahr der Erlös des Abends, der “Annual Award”, dem “Good Shepherd Center for Homeless Women and Children in Los Angeles” zu. Diese wohltätige Einrichtung kümmert sich seit 25 Jahren um zerbrochene Familien, hat Hunderte von der Straße geholt und sie wieder auf eigene Füße gestellt. Vor einigen Jahren hatte der Council dem Center schon einen Minivan geschenkt, der große Begeisterung fand und sehr gebraucht wurde.
Eine Vertreterin dieser Einrichtung ging während des Abends zu den einzelnen Tischen und bedankte sich für die großzügige Spende und erzählte mehr über das Center. Später kam ein leichter Nebel auf und hüllte alles mit seinem Schleier ein. Wenn da nicht eine große Palme gestanden hätte, wäre jeder überzeugt gewesen, in Grinzing zu sein…” Auf den Bildern dazu sind alle in Tracht.
Cita war glücklich, dass ich mich über die Zeitung aus der Heimat so sehr gefreut habe; ab jetzt bekomme ich jede Woche die aktuelle Ausgabe der “California Staats-Zeitung” (der Titel ist, müßig zu erwähnen, selbstverständlich in Fraktur gedruckt).
Das wird ein Spaß.
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* aus Costa Rica hat sie mitbekommen: dunkle Augen, dunkle Haare, Sprache mit vollen Einsatz von Händen und Füßen sowie eine lichte Höhe von stöckelnden Anderthalbmetern, Körbchengröße Doppel-D – vorsichtig geschätzt – und eine Vorliebe für das tiefe Dekolletée**
** im Amerikanischen „cleavage“ oder auch „plunging neckline“