Meiner fĂŒr heute Abend war ganz einfach: ich nehme den 6:11 Northbound Caltrain von der California Station in Palo Alto, steige in Redwood City um in den 6:34 (ja, umsteigen – eine direkte Verbindung gibt es nur auĂerhalb der StoĂzeiten, das verstehe, wer will) und komme um 07:01 in San Bruno an.
Teil 1: vorbildlich. Teil 2: perfekt (umsteigen bedeutet, dass man am selben Bahnsteig auf den etwas spĂ€ter eintreffenden Zug wartet). Ich krame also meine Testfragen fĂŒr die FĂŒhrerscheinprĂŒfung (das ist ein anderes Kapitel, erzĂ€hle ich spĂ€ter) heraus und will die nĂ€chste halbe Stunde zum Lernen nĂŒtzen. Der Zug verlĂ€Ăt gerade den 2. von insgesamt 8 anzufahrenden Bahnhöfen, das kommt eine Durchsage: Man werde am folgenden Bahnhof, in Hillsdale, anhalten. Und stehenbleiben. Auf unbestimmte Zeit, es gebe nĂ€mlich in Milbrae, in der BART-Station, eine Bombendrohung. Das ist der einzige Bahnhof auf der gesamten Strecke, den sich die beiden Bahnlinien teilen, also ist es eigentlich wurscht, wem die “bomb threat” gilt – aber normalerweise ist der CalTrain betroffen, und ich hatte den Eindruck sie sind ganz erleichtert, dass es dieses Mal die anderen sind. Hillsdale sei im ĂŒbrigen ein Spitzenstop, denn dort operiere SamTrans (ein weiteres lokales Konkurrenztransportunternehmen) jede Menge Buslinien. Da keiner wisse, wie lang “the situation” dauern werde, solle man diese Option doch in ErwĂ€gung ziehen. Tue ich. ZunĂ€chst mit dem (zugegebenermaĂen sehr idealistischen) Ansatz, den CalTrain-Schaffner zu fragen, ob er denn wisse, ob es einen Bus nach San Bruno gebe, und wenn ja, wo der abfahre und wann. Nein, leider, keine Ahnung. Aber ob ich wohl ein Mobiltelefon hĂ€tte?
Was dann kommt, glaubt keiner, der es nicht selbst erlebt hat: er hat mir die Nummer des SamTrans-Verkehrsauskunftssystems gegeben. Ich habe die Hotline angerufen, und nach mehrminĂŒtigem SprachmenĂŒ und der wiederholten Versicherung, dass mein Anruf waaaahnsinnig wichtig fĂŒr sie sei, einen Menschen drangehabt, der wuĂte, welchen Bus ich nehmen kann, wann der nĂ€chste fĂ€hrt und dass die Haltestelle gegenĂŒber vom Parkplatz des CalTrain Bahnhofs ist. Hab ich alles dem Schaffner weitererzĂ€hlt, der hat es brĂŒhwarm ĂŒbers Zugmikro allen FahrgĂ€sten gesagt und mich dann gebeten, nochmal anzurufen, damit ich rauskriege, was denn ein Fahrschein bei SamTrans kostet. Klar, hatte eh nichts anderes vor: also nochmal angerufen und gefragt, ob denn auch das CalTrain Ticket gildet. Nach kurzer Beratung hat die Leitstelle von SamTrans aus Kulanz zugestimmt, haben der Schaffner und ich “highly appreciated” (wir waren inzwischen gemeinsam an meinem Telefon, denn die Zugbegleiter haben keine Möglichkeit, extern zu telefonieren, auĂer 911, den Notruf) und er hat es wieder allen weitererzĂ€hlt. Mit einem kleinen HĂ€uflein Wagemutiger (die meisten sind stumpf und schafsgeduldig im Zug sitzen geblieben) bin ich zur Bushaltestelle aufgebrochen und als wir da gerade so standen, fuhr der Zug laut hupend davon. Grrgghhh. Dann fuhr der nĂ€chste in den Bahnhof ein, also sind wir zurĂŒckgerannt, um zu erfahren, dass die ZĂŒge alle nur eine Station vorrutschen, aber in Wirklichkeit nicht weiterfahren. Inzwischen war der Bus weg. Grrggghhh. Bis auf eine andere Frau (Lucille, eine Jura-Studentin aus Taiwan) sind alle wieder in den Zug eingestiegen – wir beiden haben uns tapfer an das Bus-Experiment gewagt. Ich habe nochmal bei SamTrans angerufen, um herauszufinden, wann der nĂ€chste fĂ€hrt und wir hatten GlĂŒck: der nĂ€chste war der letzte aus dem 15minĂŒtigen Turnus der Tagschicht, danach nur noch in StundenabstĂ€nden. Bis zur Ankunft des Busses waren wir mit allen Durchhalteparolen (wenigstens regnet es nicht, Hauptsache, es ist nicht kalt, besser in einem lahmen Bus, als in einem stehenden Zug… und dergleichen) zwei Mal durch. Der Fahrer hat uns angestrahlt, jeder mit einem CalTrain Ticket bekomme einen “free ride”, seither geht mir “Ironic” von Alanis Morissette nicht mehr aus dem Sinn…
Wir saĂen gut und los ging’s. Den Camino Real entlang. Bis zur nĂ€chsten CalTrain Station, da wurde es voll. Sehr voll. Der Busfahrer verwies auf die Schilder, wonach man in seinem Bus nicht “crowden” soll. KunststĂŒck – es waren schĂ€tzungsweise 20 mal mehr Menschen an Bord als sonst. Der Camino zieht sich ganz elendig, vor allem in einem vollen Bus. Ich denke nicht, dass es noch irgendetwas aus Lucilles Lebensgeschichte gibt, das ich nicht weiĂ, von einigen kleineren marginalen Kindheitserinnerungen abgesehen. Ganz wichtig, das hat sie mehrfach eingestreut, ich solle unbedingt heute ein Lotterielos kaufen, so viel Pech, das sei ein Zeichen.
Endlich, endlich kamen wir nach Milbrae. Und verweilten ca. 5 Minuten vor dem von Polizei und Feuerwehr umstellten menschenleeren Bahnhof. Befragt, warum wir denn nicht einfach weiterfahren, antwortete der Fahrer, dass er hier immer ein paar Minuten warte, damit die vom sowieso Zug noch mitkommen können. An sich eine nette Geste, aber heute doch auch sehr ĂŒberflĂŒssig. Und dann, San Bruno: meine Heilsarmee, mein Walgreens, mein Busstop? Ich durfte einfach auf der Strecke aussteigen, bin dann noch durch den ganzen Ort getrabt, und dann, zwei, drei Minuten von zu Hause weg (hintenrum, ĂŒber den Bahnhof und den Trampelpfad) – Polizeifahrzeuge, Sirenen, reichlich Cops und Bahnsteig und StraĂe ĂŒberquellend von Menschen, die Richtung SĂŒden unterwegs gewesen waren. Oh, Mann, klar, die ganzen Pendler aus der City, die in San Bruno steckengeblieben sind. Einer der Polizisten schnauzt mich an, hier wĂŒrden keine ZĂŒge fahren, was ich denn am Bahnhof verloren hĂ€tte. “I’m living on the other side of the tracks.” (Da wohnen, so Lyn, seit Generationen die Kinder, mit denen die anderen nicht spielen dĂŒrfen.) Kurzer abschĂ€tzender Blick, und dann die Anweisung, ich solle hurtig auf die andere Seite und dann zĂŒgig weitergehen. “Yes, officer!”, nichts anderes hatte ich vor.
Um 08:58 habe ich die HaustĂŒr aufgeschlossen. Jetzt ist es nach 10:00 und die ZĂŒge hupen wieder. Wer’s ausgesessen hat, ist bestimmt auch bald daheim.