Geht doch

Wenn früher der Wasserhahn der Küchenspüle kaputtging, machte man sich, nachdem man unbeholfene Reparaturversuche und dem widerborstigen Teil für sein Versagen reichlich Vorwürfe gemacht hatte, am Samstag oder nach Feierabend auf den Weg in den Baumarkt, um sich mit anderen Berufstätigen um Parkplätze, Auskunft (“wo, sag mir bloß wo?”) und schließlich um die Ausstellung in Gang 16, Sanitär, Unterabteilung Armaturen zu drängeln, mit dem Ersatz auf zur Schlange an der Kasse um die Beute schließlich nach Hause zu fahren und sich fest vorzunehmen, nächste Woche aber wirklich Zeit zu finden, um einen Klempner anzurufen.

Heute stelle ich mich für solche Zwecke Mittwoch nachmittags um kurz vor drei dem Dilemma der Alle-frei-Parkplatzauswahl, erlöse einen der drei Obi-Uniformierten im Eingangsbereich von seiner Langeweile, folge ihm zügig zur Ausstellung in Gang 16, Sanitär, Unterabteilung Armaturen, lasse mich umfassend beraten, wo er mir zwar die deutschen Hersteller empfehlen muss, weil ihm sein Arbeitgeber das so aufträgt, er mir aber uns Schwaben anvertraut (ich spreche dir jeden Akzent, wenn’s um Geld geht…), dass das Modell aus China hier die exakte Kopie, halb so teuer und genau so gut “zum Butza” sei. Dann trägt er mir das Ding zur Kasse, ich bezahle und bin keine Viertelstunde später wieder draußen. Ich mag es mir einbilden, aber es riecht dort auch nicht so komisch wie sonst.

Der Einbau? Easy. Neulich im Aufzug einen reizenden jungen Mann kennengelernt, der die Konversation angesichts meines Gepäcks mit den Worten “Na, Urlaub gehabt?” eröffnete und angesichts meiner Antwort “Nein, Hunsrück” übers ganze Gesicht zu strahlen begann. Da komme er her und das kenne ja hier niemand, Rhabarber, Rhabarber und bis wir oben waren, wußte ich, dass er für die hiesige Hausverwaltung arbeitet und älteren Mieterinnen gerne bei kleinen Reparaturarbeiten im Haushalt aushilft. “Ehrensache. Unter uns Hunsrückern”.

Mehrsprachigkeit macht das Leben so viel leichter.

Rentenantrag

Vor die Ausschüttung der Rente haben die Götter (und die Rentenversicherung) das Ausfüllen von Anträgen gesetzt. Wenn’s um die eigene Biographie geht, nehme ich es im allgemeinen nicht so genau. Ich war ja dabei, das sollte reichen.

Sieht die RV anders. Die wills ganz akkurat wissen: Wo hab ich bloß am 15.09.1990 gewohnt? Und welche Nummer hat dies, das und jenes in meinem Leben? Habe ich mal was gelernt? Was genau? Und wenn wir gerade dabei sind: wo und wie lange? War ich mal verheiratet? Mit wem? Warum?

Den heutigen Nachmittag habe ich im wesentlichen im Archiv verbracht und muss feststellen: analog zu Deutschland ist auch die Frau flockblog nicht sehr digital. Hab aber alles gefunden und bin bereit, nunmehr den Ruhestand auch offiziell auf den Weg zu bringen.

Gelesen: Juli Zeh – “Leere Herzen”

Das Buch war mir von einer vertrauenswürdigen Person empfohlen worden und obwohl ich bis dato noch mit keinem Werk Zehs irgendwas anfangen konnte, habe ich mich vorurteilsfrei und neugierig darauf eingelassen. Anfangs sogar noch mit Hochachtung vor der skalpellscharfen Sprache, mit der Zeh das dystopische Deutschland nach der Wahl Trumps zum 45. Präsidenten und die nachfolgende Neuordnung der Welt seziert. Nachdem die rechte BBB (“Besorgte-Bürger-Bewegung”) bei den Wahlen eine komfortable Mehrheit erzielt hat, tritt Merkel inkl. Raute zurück, und unter der neuen Kanzlerin und BBB-Chefin Regula Freyer sowie ihrer vornamenlosen Innenministerin Wagenknecht wird das einst demokratische Deutschland mit immer radikaleren “Effizienzpaketen” auf stramme nationalistische Linie getrimmt. Das Volk übt sich je nach Typ und politischer Orientierung entweder in Mitläufertum oder innerer Emmigration.

Darüber stülpt Zeh was der Verlag einen “Politthriller” nennt, der ihr aber aus den Fugen gerät und das Interesse an der Hauptperson Britta mit dem sprechenden Nachnamen “Söldner”, der eigenartigen Tech-Millionär-Esoteriker-Figur Guido Hatz und der zunehmend kruderen Geschichte elendiglich verenden läßt. Mann, war ich froh, als es endlich aus war. Es ist ja nicht oft so, aber für ein so dermaßen unbalanciertes, überkonstruiertes Stück Text bleibt nur die klassische Deutschlehrerfrage: “Was will uns die Dichterin damit sagen?”

Nicht lesen. Ist Zeitvergeudung.

Gestern Abend in der Unterfahrt: Jam Session mit Martin Seeliger

So voll wars doch bei einer Jam Session noch nie, oder? Immer mehr sehr junge Menschen drängen im Pulk nach, gelegentlich zeigen sich auch Häupter mit langem Silber- bis sehr schütterem Haar, was möglicherweise darin begründet ist, dass Seeliger nicht mehr der Jüngste ist sowie an der Grünwalder Musikschule unterrichtet und einer Anzahl unterschiedlicher Bands vorsteht.

Der Abend war sehr gut kuratiert, wenn auch leider schlecht ausgesteuert – und auf der Bühne nie unter sechs, aber schon auch mal lässig zehn Künstler, alle sehr begabt. Das macht einfach Freude!

Da gehen wir bald wieder hin.

Gelesen: Judi Dench – “Shakespeare – The Man who pays the Rent”

So ein wunder-wunderschönes Buch! In den letzten beiden Wochen ist kein Abend vergangen, wo ich nicht doch noch vor dem Einschlafen mindestens ein Kapitel mehr gelesen habe, als ich eigentlich ursprünglich vorgehabt hätte.

Worum gehts? Dame Judi Dench, Schauspielikone, erzählt von den Shakespearerollen, die sie in ihrem Leben gespielt hat. Mit Freude und Leidenschaft und einem großartigen analytischen Blick – man möchte auf die Suche gehen und das Glück haben, wenigstens ein paar Aufzeichnungen davon zu finden.

Weil aber vieles, wie das so ist mit dem Theater, nach der Vorstellung vorbei und damit flüchtig ist, bleiben einem wenigstens diese Erinnerungen und seien allen Shakespeare-Fans sehr ans Herz gelegt.

Herzeleid

Die letzten Wochen im Hunsrück waren neben arbeitsreich schon auch ein wenig schmerzhaft. Das letzte Mal mit vielen meiner externen Kontakte gesprochen und geschrieben, das letzte Mal im Meeting mit dabeigewesen, das letzte Mal mit diesem oder jenem Lieblingskollegen abends zum Essen ausgegangen oder – ganz schrecklich – das letzte Mal mit “meinen” Mädels zusammengesessen. Natürlich haben wir uns versichert, dass wir in Kontakt bleiben werden. Leider bin ich alt genug, um zu wissen, dass das mit den wenigsten klappen wird.

Schade. Sie sind mir sehr ans Herz gewachsen. Und was da jetzt kommt, ist noch sehr neu.

Möge mir meine Leserschaft gewogen bleiben, ich habe so das Gefühl, dass mit mehr freier Zeit der Output größer werden wird…

Rentenbescheid

Meine Kollegen, halt, meine früheren Kollegen bekommen nach Auslandsaufenthalten mit Zeitverschiebung und unbotmäßig langen Arbeitstagen nach ihrer Heimkehr immer mindestens einen “Regenerationstag”. Dergleichen, fand ich, stand mit nach den zwei anstrengenden Wochen im Hunsrück und einer Bahnfahrt, in der im Vierer vor mir Staatsbürger in Uniform die Kriegsbereitschaft der Truppe diskutierten und als nicht vorhanden befanden und im Vierer auf der anderen Seite eine perfekt geschminkte und gekleidete Influencerin (das ist eine Vermutung, liegt aber nahe, lest einfach weiter) mit einem ausgesprochen liebreizenden, sehr blondgelocken, sehr fotogenen und häufig fotografierten Töchterchen die Dinnerpläne besprach – nachfolgend wörtlich wiedergegeben:

Kind: “Maamaa (auch Influencerinnentöchter quengeln), was gibts heute Abend zu essen?”
Mutter Influencerin: “Fisch. Du weißt doch: freitags gibt es immer Fisch.”
Kind: (mit liebreizend gezogenem Schnütchen) “Mag kein Fisch.”
Mutter Influencerin: “Dann kriegst du Hummer. Hummer ist auch Fisch.”

… wo war ich gleich?

Ach ja, ich wollte meinem ersten Renterinnentag auch zum Regenerationstag machen. Wurde dann aber komplizierter als erwartet: Gilt denn der Samstag überhaupt? Als erster Tag des neuen Lebensabschnitts? Weil: der ist ja sowieso Wochenende und da hätte ich, selbst wenn ich am Montag wieder gearbeitet hätte, ausgeschlafen. Meine Sorgen möchte ich haben.

Habe das Dilemma salomonisch gelöst. Werde am Montag wieder ausschlafen.

Nachtrag zum vorherigen blogpost

Falls das in der Schriftform nicht ganz deutlich erkennbar gewesen sein sollte:

Zum “Yesss!” gehört natürlich noch die Geste. Die Faust um den Dampflockwarnpfeifengriff geballt und mit Schwung nach unten gezogen.

Yesss!

Yesss!

Ich kann nunmehr die Restdauer meines noch verbleibenden erwerbstätigen Arbeitslebens an den Fingern einer Hand abzählen. In Stunden.

Yesss!