Vorhin im Prinzregententheater: “Minetti – Ein Portrait des Künstlers als alter Mann”

Der uralte Manfred Zapatka (81) spielt Minetti († ) in einer Inszenierung vom uralten Claus Peymann (86) in einem Stück von Thomas Bernhard († ).

Zapatka macht das großartig, ein eineinhalbstündiger Kraftakt, in dem er vom großen raumgreifenden Mimen, der auf allen wichtigen Bühnen gespielt hat, zum alten verarmten grauen Mann schrumpft, der sein kläglich-kärgliches Dasein in einer Dachkammer im schwesterlichen Eigenheim in Dinkelsbühl (was für ein herrliches Schimpfwort! Mit welchem Ekel er das spricht. Hach!) fristet. Das letzte Bild, in dem er in einer Ensor-Maske als Lear im Schneegestöber auf einem Schrankkoffer kauert, ist herzzereißend.

Trotzdem ist das Stück fad und irgendwann hat man dann auch genug von der Unbedingtheit des Kunstanspruchs. Was wohlgemerkt das Spiel und die Leistung Zapatkas kein Stück schmälert.

Wer “Warten auf Godot” mag, wird den “Minetti” lieben.

Gestern Abend im Metropoltheater: “Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke”

Mei, war des schee!

Es ist ja schon so, dass, wenn eins was verschenkt und dann auch noch dabei sein darf, wie das Geschenk der Beschenkten große Freude macht, und das sich dann anfühlt, als wäre eins selbst beschenkt worden… Hach!, halt.

Also habe ich gestern Abend eine liebe Freundin in die Untiefen Freimanns geführt, damit dort auf der Zauberbühne des Metropol, mit bekannt minimalistischer Ausstattung, ahaber einem fahrbaren (!) Rotsamtvorhang (!) (Bühne und Kostüme: Christl Wein), unter der sehr gekonnten Regie Gil Mehmerts die skurrile Geschichte vom versehentlichen Falckenbergschüler Joachim Meyerhoff ach so gar wunderbar gezeigt wurde.

Es war ein rechter Spaß! Ganz besonders hervorzuheben sind Lucca Züchner als Schauspiellehrerin (was konnte man sie für Aufgaben hassen wie “Spiel doch mal einen tragischen Satz aus Effie Briest – als Nilpferd”) und natürlich, Joachims Diven-Großmutter (ich bin mir nicht sicher, ob ich zu meinen Lebzeiten ihr “Herrschaftszeiten” nochmal aus den Ohren bekomme. Oder das herrlich gestöhnte “Mong”, das eines “dieu” gar nicht mehr bedurfte), James Newton als glaubhafter “mir-ist-das-ganze-Leben-noch-so-neu”-Joachim und der unglaublich wandlungsfähige Thorsten Krohn, der einfach alles spielt und kann. Außerdem Stefan Noelle, Musikbeauftragter und ein großes Talent.

Bis Ende März ist schon wieder jede Vorstellung ausverkauft und es ist ihnen von Herzen zu gönnen. Die wollen nix außer unterhalten und das tun sie saugut!

Wer hingehen mag (und jeder sollte das tun!), versuche es im 2. Quartal.

Gelesen: Daniel Kehlmann – „Lichtspiel“

Was für ein überaus schönes Buch! Triple-Hach!

Der Inhalt noch einmal in kurz für alle, die es geschafft haben, um die tausendundeine Rezensionen in allen Kulturmedien herumzulesen: G. W. Pabst, berühmter Spielfilmregisseur, gelingt es nicht, im anderssprachigen verhaltensverschiedenen dauersonnigen Hollywood Fuß zu fassen (herrlich und zum auf der Zunge zergehen lassen: die Poolparty bei Zinnemann). Er kehrt nach Österreich, nunmehr Ostmark zurück und läßt sich vom Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Präsident der Reichskulturkammer, Herrn Doktor Joseph Goebbels vereinnahmen. Nur unpolitisch. Natürlich. Nur im Namen der Kunst. Natürlich. Selten eine schöne Unterwerfungsszene gelesen wie den Dialog der beiden, und ich denke, nicht nur mir ist als Idealbesetzung für die Rolle des Goebbels in seinem markthallengroßen Büro Christoph Waltz in den Sinn gekommen. Oder?

Überhaupt. Verfilmungsgeeigneter als diese Geschichte über einen Großen vom Film, der eigentlich nicht “zu denen” gehören will und dennoch leicht zu verführen ist. Man hofiert und ehrt ihn mit Auszeichnungen, ganz zu schweigen von nahezu grenzenlosen Budgets und dem Umstand, dass ihm das Regime alle Wünsche erfüllt: Technik, Studiobauten, Schauspieler oder noch in den letzten Kriegstagen Unmengen von Komparsen. Aus einem KZ, ja. Aber für die Kunst müssen moralische Skrupel schweigen. Pabst verliert für diese Kunst Frau und Sohn, das tut ihm auch leid, aber noch mehr trauert er um die Rollen seines letzten großen Werks, die auf der Flucht aus Prag gen Westen verloren gegangen sind.

Kehlmann baut das Buch raffiniert in drei Blöcken auf “Draußen”, “Drinnen” und “Danach”. Wobei sich das letzte Kapitel um die sogenannte Vergangenheitsbewältigung dreht, die in der Filmbranche genauso so armselig und unzureichend war wie in der Justiz und allen anderen Lebensbereichen. Kehlmann demonstriert das mit den Mitteln der Literatur und das macht er hervorragend. (Ich beziehe mich, pars pro toto, auf die “Levy-Szene”. Die, die das Buch schon gelesen haben, wissen, was ich meine. Die anderen mögen danach Ausschau halten und wissen es dann.)

Über das Buch hinweg nimmt er uns auch sprachlich mit auf eine Zeitreise, in eine Zeit, in der die Herren Schlafrock trugen, man zum Plafond blickte und in der Schänke trank. In eine Zeit, in der die herrschende Gesellschaftsschicht sich noch nicht ganz vom Gedankengut der k. u. k. Monarchie verabschiedet hat, was in Pabsts Fall zu einer “Parasite”-ähnlichen Situation führt. In eine verrohte Zeit, in der sich der Wertekanon ganz und gar verkehrt hatte und der der mitmacht, drin ist. Egal, welche Gründe er hat. Oder vorschiebt. Kehlmann läßt seinen Pabst zur tragischen Figur werden, in einen Strudel von Ereignissen gerissen, denen er sich nach eigenem Empfinden nicht entziehen kann und letztendlich Integrität, Werte, Familie auf dem Altar der reinen Kunst opfert. Ist einer, der Filme dreht, ein Täter? Andere Zeitgenossen haben sich anders entschieden. Kehlmann nennt einige, die emigrierten und sich woanders eine neue Karriere schafften, welche die scheiterten, sich umbrachten, gefangen und ermordet wurden, solche die blieben und sich in irgendeiner Form arrangierten. Er urteilt nicht.

Es gibt Kritiker, die ihm das vorwerfen. Aber, bitte, wer sind wir, denen die Gnade der späten Geburt zuteil wurde, uns zu erdreisten, über die davor zu richten?

Lesen! Nachdenken! Lesen! Lesen!

Relativ neu zum Strömen: “Slow Horses” (3. Staffel)

Ich hab doch da schon mal was geschrieben, Mensch. Ah, ja, hier: https://flockblog.de/?p=47062. Das gildet noch ganz genau so für die Verfilmung des 3. Bandes, “Real Tigers”. Ich denke, es hilft, wenn man die Bücher kennt, denn egal, wie gut Christopher Chung die Figur des “Roddy Ho” auch spielt – die herrlichen inneren Monologe, die Herron ihm schreibt, die muss man lesen und sich dabei auf der Zunge zergehen lassen.

Anschauen! Vergessen, wie ernst John le Carré seine Agenten genommen hat. Anschauen! Gut unterhalten lassen. Ein Abend und weg ist eine Staffel.

PS: Ich schaue mir ja immer Vor- und Nachspann bis zum Schluss an. Nix schöner, als Mick Jagger “Strange Game” plärren zu hören.

Heute früh auf dem Weg zur Arbeit…

…will ich, wie immer, wissen, was auf der Welt los ist und stattdessen dudelt mir eine Dame namens Laing in sehr verschluderter Aussprach, vollkommen sinnfrei und in fürchterlich schlechten Reimen irgendeinen Schwachsinn ins Ohr. Oh Mann, wenn Tage schon so anfangen.

Ich habe den Text jetzt persönlich transkribiert, weil sich selbst das Internet dafür zu schade ist. Wer’s lesen oder gar selbst anhören will, ist gewarnt.

Erwäge, für ein Reimlexikon zu sammeln.

Ich nehm dich mit auf’n Trip in meinem Heißluftballon
Ich steh direkt vor der Tür, du brauchst nur noch zu komm’
Du wärst in mei’m Korb kein Ballast,
ich schmeiß alles über Bord, sei mein Gast,
lass dein Gepäck an Land, komm wir lösen die Seile.
Und dann steigen wir nach oben,
endlich weg vom Boden, nichts kann uns jetzt mehr runterhol’n.
II: Hoch ist die richtige Richtung :II
Dreihunnertsechzich Grad über’n Horizont,
Heute ist unser Tag und morgen gibt’s noch mehr davon.
Spürst du auch diese Leichtigkeit?
Die Schwerkraft wird zur Kleinigkeit.
Wir brauchen nichts als heiße Luft, ich hab genug für uns beide.
Und dann steigen wir nach oben,
endlich weg vom Boden, nichts kann uns jetzt mehr runterhol’n.
II: Hoch ist die richtige Richtung :II

Geschichten, die das Leben schreibt

Ernest Hemingway wird zugeschrieben, dass er eine der kürzesten dramatischen Kurzgeschichten aller Zeiten geschrieben habe, nämlich: “For sale: baby shoes, never worn.” (s. a. https://flockblog.de/?p=3676)

Daran mußte ich denken, als ich vorhin im Zeitungsladen mithörte, wie der Verkäufer einen sichtlich abgekämpften und erschöpften Mann fragt: “Und?” und der antwortet: “Nächste Woche ist die Wohnung leer.” Da ist noch alles möglich: Umzug, Aufbruch, neuer Job, neue Frau, neue Stadt, neues Land. Es geht aber weiter: “Und die Oma ist immer noch tot.” Ach, hat der mich gedauert.

Head cold

Der gemeine Angelsachse bezeichnet eine Erkältung, deren Symptome sich am Kopf zeigen (Nase läuft, Hals schmerzt etc.) als “head cold”, wenn es aber tiefer geht, und Bronchien und/oder Lunge betroffen sind, spricht er von “chest cold”.

Jetzt, wo wir das geklärt haben, komme ich zu meinem eigentlichen Thema. Mir ist kalt. Überall. Ich mag keine Mützen und habe genug Haare auf dem Kopf (ja, auf den Zähnen auch, aber das ist schon wieder ein anderes Thema), als dass der warm bleibt und ich auch nie ein brauche. Eigentlich. Außer jetzt in den letzten Tagen, wo mir, wenn ich denn schon mal raus gehe, sehr ungern, wie ich betonen möchte, zum ersten Mal seit vielen vielen Jahren, die Kopfhaut friert. Gar kein schönes Gefühl, Mensch. Deswegen, jawoll, ist mein head cold.

Herrje, einen größeren Beschiss als den Begriff “Global Warming” gibt es wirklich nicht. Oder?

Gelesen: Agustín Ferrer Casas – „Mies – Mies van der Rohe. Ein visionärer Architekt“

Casas, selbst Architekt, zeichnet das Leben des “Weniger ist mehr”-Bauhaus-Giganten Mies van der Rohe in dieser Graphik Novel in den sehr klaren Linien des Meisters. Dafür verläßt er den engen Rahmen vorgegebener Panels (ein Hochhaus, zum Beispiel, bekommt eine ganze Doppelseite) und schafft es auf diese Weise, seiner Leserschaft den Architekturstil näher zu bringen.

Ob die biographischen Details alle genauso stimmen, sei dahingestellt. Ist aber auch nicht so wichtig. Die Zerissenheit eines Künstlers angesichts der Nazi-Diktatur (“Politik hat am Bauhaus nichts zu suchen.”) und der Erkenntnis, dass alles politisch ist, das Private wie ein Baustil, wird deutlich herausgearbeitet.

Lesenswert.

Gelesen: Mick Herron – “Bad Actors” (Band 8 der “Slow-Horses”-Serie)

  1. “Bad Actor” bezeichnet in der Geheimdienstfachsprache einen Protagonisten, der sich weder ans vorgeschriebene Protokoll noch an allgemeine Anstandsregeln hält, wenn es ihm nur einen Vorteil bringt.
  2. Herrons Slow Horses sind und bleiben eine sichere Bank für Menschen, die sich intelligent und voll Wortwitz sowie gelegentlichen Schlägen und Tritten gegen leicht identifizierbare unerträgliche Politiker unterhalten lassen wollen.

Damit wäre eigentlich alles gesagt, außer, dass Herron diesen Band unter das Leitmotiv “Theater” stellt, selbst offensichtlich große Freude dran hat und sie dem Leser macht.

Jetzt ist wirklich alles gesagt. Außer: Lesen! Lesen! Lesen!