Herbstreise

Dunkelgrau ist es. Die Straßen nass, vom Himmel mehr Nässe in unterschiedlicher Intensität. So ein Wetter, bei dem selbst die Knochen Gänsehaut bekommen. Mein Kleinstleihwagen, mit dem ich nun aus Mannheim in den Hunsrück fahre, hat zwar kein Radio und kein Navi, aber eine Sitzheizung. Prioritäten. Hah! Guter Wagen, das. Ich singe mich warm und frage das Handy wo’s lang geht. Ah! Da lang.

Übriggebliebene Sonnenblumen ziehen am Rand der Autobahn lange dunkle Gesichter, restfarbige Blätter krallen sich verzweifelt an Ästen fest – es wird aber nicht helfen, weil es ja nie hilft und noch nie geholfen hat. Der Sausebrauseregenwind zerrt und reißt und rupft und zupft so lange, bis jedes letzte Blatt verwesungsergeben am Boden liegt und die Bäume verlassen, kahl und schwarz, frieren müssen. Aus den Wiesen kraucht ein Nebel die Hügel hinan, auf dass dem Ilies Stoff für Band 2 bis unendlich seines Caspar-David-Friedrich-Epos nicht ausgehe. Er kann aber auch Since Fiction* und spielt Christo mit den Windrädern, und enttarnt sie als das, was ich schon lange vermute: extraterrestrische Stützpunkte.

Als ob die Stimmung nicht schon morbide genug wäre, sehe ich im Rückspiegel wie sich aus dieser Suppe ein Leichenwagen heranschiebt und mich dann halogenaufgeblendet von der Spur drängeln will. Nichts wie weg! Auf den Schreck singe mir ein letztes Lied. Vorwärts, Hannes, und nicht vergessen! Dann muss ich mich auf das nuschelnde Telefon konzentrieren, weil meine übliche Ausfahrt gesperrt ist und ich eins vorher raus muss. Mein Handy ist ein urbanes Handy und kann mit diesen Umleitungen auf dem Land nicht umgehen. Wie jetzt? Wirklich? Hier durch die Scheune und dann quer über den Ponyhof? Nein. Anscheinend doch nicht. Wieder eine neue Route. Noch eine. Irgendwann gebe ich auf und folge den Schildern zur Verbandsgemeinde, wo die Frau Wirtin ihr Hotel vorhält. Von da aus finde ich meinen Hunsrücker Laden. Immer. Auch dieses Mal, wenn auch eine ganze Weile später als sonst.

Also, wenn die Hinfahrt ein Indikator fĂĽr die RĂĽckfahrt ist, dann kann die heiter werden.

Und wie.

Weselsky muss vor dem Ruhestand noch einmal den ganz starken Mann markieren und verlängert meinen Aufenthalt um einen Tag. Außer lästig nur halb so schlimm, ich bin ja so erzogen, dass ich immer Spare-Underware einpacke.

Freitags, wenn andere Menschen Feierabend machen, mache ich mich auf den Weg. Im strömenden Regen nach Mannheim, wo jetzt alle Straßen aufgerisssen und der Autoverleih nur über sehr spannende Umleitungen zu erreichen ist. Verdammt, das wird knapp! Ich muss ja auch noch zum Bahnhof. Aber auf die Bahn ist Verlass: bevor ich richtig hektisch werden kann, kommt eine Nachricht nach der anderen: der Zug werde sechs, acht, ach was, mindestens 15 Minuten Verspätung haben. Pah! Dann schaffe ich es bis zur Abfahrt lässig. So lässig, dass ich mir sogar noch einen Kaffee und ein Brötchen holen kann. Der Zug ist wieder bis zum Kragen ausgebucht, der dicke Mann neben mir und ich wünschen uns gegenseitig Diäten an den Hals, aber wir fahren, fahren, fahren und kaum eine Dreiviertelstunde zu spät bin ich endlich angekommen.

Jetzt muss ich nur noch abwarten, ob mir die Kollegen nicht noch ein Virus mitgegeben haben – der Hals ist rauh und der Kopf dick. Aber vielleicht habe ich GlĂĽck und das nächste Mal Corona bleibt mir erspart. SchlieĂźlich bin ich inzwischen fĂĽnf Mal geimpft, das muss doch fĂĽr irgendwas gut sein. FĂĽrs Wochenende habe ich mich aber trotzdem erst einmal in Quarantäne begeben. Sischer ist sischer.

* “Since Fiction”. Das, hat mir ein jugendlicher Bewerber in seinem Lebenslauf geschrieben, sei sein Lieblingsfilmgenre.

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