Herbstreise

Es ist wieder an der Zeit, die Geburtstage meiner Eltern zu begehen, also mache ich mich auf in meine schwäbische Heimat und in eine gelbe Welt. Ich habe die Sonne im Rücken und alle Sonnenblumen auf den weiten Feldern haben sich ihrer großen Schwester (und ein bißchen auch mir) zum Gruße zugewandt. Rechts und links leuchten Felder mit gelbblühender Zwischensaat, ob nun Raps (“mehr so neon”) oder Senf (“eher hellgelb”), weiß ich nicht zu sagen, ist mir auch egal. Die meisten Bäume an der Strecke haben, wohl wegen des trockenen Sommers, auf Rot in der Blattfärbung verzichtet, dafür wiegen sie sich in einer sanften Brise sehr mellow yellow und das in allen Schattierungen, die dem strahlenden Gestirn am tiefblauen wolkenlosen Himmel einfallen (viele). Am schönsten sind, wie immer, die Birken.

Die netten Menschen von Bayern 2 haben so viel Wissenswertes und Unterhaltsames zu berichten, dass ich gar nicht merke, wie die Zeit verfliegt und, hoppala, ich bin schon angekommen. Wochenendtäschle und Geschenkwundertüte geschultert – “Hallo, da bi…” “PSCHT!!” Zum Schweigen verdonnert, erfahre ich, dass das “Muggasäggle” es “geschafft” hat. Aha. Wer oder was ist ein “Muggas…” “PSCHT!!” und aus dem Radio erklärt der offensichtlich zugereiste Moderator, dass ein “Muggasäggle”…, “also eine Mugg ist eine Fliege” und, wie die vorlaute eingeborene Moderatorin keck einwirft, “auch ein Fliegerich, hihi”, “und bei der Fliege…” “und beim Fliegerich, hihi” “ist ja alles sehr klein…”, “hihihi”, “auch…”, “hihihihi”, “… das Geschlechtsorgan, hihi”, “hihihihihi” – ich erspare den Lesern das restliche hihihihisterische Gekicher der beiden SWR 4-Moderatoren* und löse: ein schwäbisches “Muggasäggle” entspricht einem hochdeutschen “Fliegenschiß”, also einer kleinen Kleinigkeit. Den kleinen Sack haben die bei SWR 4 in einer einwöchigen Recherche unter Mithilfe ihrer treuen Hörer zum schönsten schwäbischen Dialektbegriff küren lassen. Brüller! Hihihi. Jetzt, wo das endlich geklärt ist, stört es auch nicht mehr, dass ich schon seit ein paar Minuten dastehe und ich kann offiziell eintreffen.

Die Zeitreise geht los. Wir reisen zurück in eine Welt, in der Veronica Ferres und Christine Neubauer noch keine Vollweiber waren, sondern unbegabte Jungschauspielerinnen und der langhaarige (!) Moretti noch bei der Wiener Polizei und fast so gscheid wie sein Hund, aber das ist nur der erste Abend. Am nächsten Nachmittag (“schau doch mal ein bißchen Fernsehen mit deinem Vater”) lerne ich in mehreren unsäglichen Doku-Soaps viel über die “Dördy Drix” der “Schierlieder” (einfach laut lesen, man kommt drauf), dann ist “Gwalliffi” (doch, so heißt das beim Autorennen). Dann ist es Nacht geworden und wir tauchen ein in Londons dunkle Unterwelt, wo die Verbrecher zuverlässig daran zu erkennen sind, dass sie aus Chicago anreisen, Joachim Fuchsberger (“Hach, der Blacky – das waren halt noch Männer”) den Fall löst, Christopher Lee den Kommissar aus Hongkong gibt (was man mit Kajal nicht alles für Augenformen hinkriegt), und Eddy Arendt den “Todesbutler”, dem alle Nase lang wieder eine Herrschaft erstochen wird.

Noch einmal schlafen.

Heute gehts nach Hause. Vorher zeigt mir meine Schwägerin auf ihrem Handy noch sämtliche Urlaubsbilder vom Center Park in Zandvoort. Sämtliche. Inklusive der Mahlzeiten und des täglichen Wetterberichts. Nein, es ist nicht zu schnell. Ich kann folgen.

Hitting the road. Kalt, naß, neblig, ähbäh – sieht aus, als wollte die Wettergöttin den Beweis antreten, dass sie noch ganz genau weiß, wie November geht. Ein paar Kilometer weiter dann Ziemlichtiefnebel, dazu Schneeregen und überfrierende Nässe, auf der Alb schließlich eine geschlossene weiße Nebelwand sowie farbgleiche Schneedecke, Schneetreiben, inklusive schwerstschneebedeckter Bäume und Fahrbahnen (“Straßenmarkierung? Welche Straßenmarkierung?”). Diese Sauerei zieht sich mehr oder minder stark bis Augsburg (es gibt wenig traurigeres als ein verschneites Hopfenfeld mit kahlen Rankstangen), wo dann Nurnochstarkregen die Ablösung und Begleitung der Reststrecke übernimmt. Und um kurz vor 5 ist Sonnenuntergang und das bißchen Restlicht auch noch weg. Doppel-Äh-bäh.

So.

Mein Auto hatte schon seine Winterschuhe an und war darum glücklicherweise an keinem der acht Unfälle auf der Gesamtstrecke von knapp 250 Kilometern beteiligt, aber mir reichts hiermit mit Winter. Ja (um Herrn M. aus K. zu zitieren), jaduganzundgargrausligpfuideifi!

 

* SWR 4 ist ein ganz schrecklicher Dudelsender und mein kleiner Bruder bekämpft ihn auf seine Weise: immer, wenn er ein Firmenauto fährt, bei dem dieser Sender eingestellt ist, verstellt er ihn auf das Baden Württembergische Bayern 3-Äquivalent und dreht die Lautstärke hoch, “damit die beim Schdarda vor Schregg da Modoor abwierget”.

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