Neu auf Netflix: “Wednesday”

Weil es auf dieser Welt offensichtlich noch nicht genug American-Highschool-Serien gibt, hat Netflix nochmal eine in Auftrag gegeben. Weil die anderen aber alle ungefähr gleich aussehen (lange Gänge, Spindreihen, Sportplatz, Klassenzimmer, buntgekleidete hübsche junge Menschen, “Saved-by-the-Bell”-Klingel), ist jemand auf die Idee gekommen, die neue Highschool-Serie mit der Addams-Family zu verknüpfen und die ernste schmale kleine blasse dunkelgekleidete und strengbezopfte Tochter Wednesday zur Hauptperson zu machen. Damit das bei allen Altersklassen im Publikum zieht, wurde Tim Burton mit ins Boot geholt und hat die erste Häfte der ersten Staffel höchstpersönlich burtonisch inszeniert.

Eigentlich könnte man es dabei belassen und noch irgendein Rating vergeben. Serienkritik fertig. Der Nächste bitte.

Ich will aber doch noch ein bißchen mehr erzählen, denn manches ist in der Produktion wirklich geglückt. Zum Beispiel die Besetzung der ernsten schmalen kleinen blassen dunkelgekleideten und strengbezopften Wednesday mit Jenna Ortega. Wenn dieses Mädchen nach irgendeiner Grausamkeit dann doch einmal lächelt, dann geht ein richtig fetter Blutmond auf. Hach! Catherine Zeta-Jones‘ Mutter Morticia ist eine exakte Kopie der Urmütter aller Film-Morticias (Angelica Huston), und das ist gut so. Brienne aus “Game of Thrones” (Gwendoline Christie) tauscht die Rüstung gegen strenge Mattfarbenkostüme, frisiertes Haar und Sehrrotlippenstift und gibt sehr überzeugend die Schulleitung des Internats “Nevermore”. (Jaha, wir haben alle die Poe-Anspielung verstanden. Jaha!)

Ansonsten ist es wie immer. Das Außenseiterkind Wednesday ist selbst im Außenseiterinternat (Vampire, Werwölfe, Sirenen, Telekinetiker, Unsichtbare…) eine Außenseiterin und freundet sich folgerichtig mit den anderen an, die ebenfalls außerhalb der Cliquen stehen. Allen voran mit dem häßlichen (!) pummeligen (!) bebrillten (!) Nerd-Buben (Moosa Mostafa, Funktion: Sidekick), aber auch mit dem von Visionen gequälten Künstlerjungmann (vampirblass: Percy Hynes White). Nicht mit einem der gleichaltrigen Teenager-Mädchen. Soweit geht’s dann doch nicht. Außerdem ist da noch der Smalltownbaristabub von nebenan (kleinstadtpausbackstrubbelig: Hunter Doohan) .

Und es geht auch weiter wie immer: Weil auch Wednesdays Eltern diese Schule schon besucht haben, dräuen über allem die Schatten der – huhuhu – Vergangenheit. Im Wald treibt ein Monster sein Unwesen und weidet Wanderer aus und das Städtchen nebenan mit der Puritanervergangenheit* ist auch nicht so smalltownharmonischnett, wie es den Anschein hat. Gar nicht.

Der Abschlussball naht und die Handlung kulminiert. Hat Wednesday den richtigen Partner gewählt? Sind alle, die es sein sollen, zur rechten Zeit am rechten Ort? Verrate ich jetzt nicht. Warum auch? Ist so überraschend nicht.

Es ist halt wirklich wie in jeder dummen Highschoolserie, außer, dass die Protagonisten keine “normalen” Halbwüchsigen sind, was eh schon schlimm genug ist, sondern “Outcasts”. Huiuiui! Ich höre, bei den 12 – 16jährigen, liegen die Einschaltquoten inzwischen über denen von “Stranger Things”. Das passt.

Ich glaube, ich bin zu alt für den Scheiß.

* Ich habe es schon unzählige Male gesagt und es würde auch diesem Film einen Handlungsstrang entziehen: Hätte diese verfluchte Mayflower bei der Überfahrt mit ihrer Puritanerladung nicht einfach untergehen können? Es wäre allen soviel erspart geblieben. Nicht zuletzt den Truthähnen.

Schon ewig nicht mehr im Kino, aber immer an Weihnachten im Fernsehen: “Love actually”

Ich kann das ja manchmal. Irgendein Kultdingsbums, das wirklich jeder kennt, einfach verpassen. Und dann kultet das in den folgenden Jahren so vor sich hin und ich habs nie gelesen, gehört, gesehen und schon gar nicht vermißt.

Nun habe ich neulich irgendwo eine Hymne auf den anderen Must-See-Film zu Weihnachten gelesen, der nicht “Drei Nüsse für Aschenbrödel” ist. “Tatsächlich Liebe” nämlich. Müsse man sehen. Ein Feelgoodfilm. Und soooo hübsch! Aha. War gestern auf Amazon Prime “noch für drei Tage verfügbar” und es war Freitagabend und irgendwas Seichtes noch genau das, wofür mein Hirn nach dieser Arbeitswoche aufnahmefähig war.

Tja.

Allem voran: man darf dieses inzwischen 20 Jahre alte britische Weihnachtsmärchen nicht mit “Me Too”-geschulten Augen anschauen. Sonst sieht man nur das Ausnützen von Abhängigkeitsverhältnissen, einen Stalker, ein Frauenbild, das in den Fünfzigern schon ein wenig altmodisch gewesen wäre, dumme Schwulenwitze, astreine Misogynie und Fat- sowie Ageshaming. Außerdem öffentliche Heiratsanträge (von Mann an Frau), eine der schlimmsten Erpressungsformen überhaupt.

Läßt man das aber alles außen vor und sich darauf ein, sieht man eine recht geschickt gemachte RomCom, besetzt mit der Crème de la Crème britischer Schauspieler aus den frühen 2000er Jahren, die ihre Rollen vom Blatt spielen. Geschickt geschrieben, geschickt geschnitten, Liebeswirren und Trauer ebenso geschickt dosiert und am Schluß kriegt jeder Topf seinen Deckel. Und wenn der Deckel Claudia Schiffer ist. Abgesehen natürlich von zwei Frauen (Laura Linney und Emma Thompson), die mit echte-Welt-Problemen zu kämpfen haben. Die passen nicht in den Reigen und müssen draußen bleiben.

Bei mir wird “Love actually” nicht zur Weihnachtstradition werden. Ich habe die Produktion jetzt gesehen und kann mitreden, falls mich wer fragt. Falls nicht, geht auch nichts verloren.