Herzlichen Glückwunsch beiden Damen zur Berufswahl. Besser hätten sie es nicht treffen können…

Unser Deutschlehrer lehrte seinerzeit, dass man sich Theaterstücken nur annähern könne, wenn man ihren Inhalt kondensiere. Also, den Inhalt einer jeden Szene in einem Satz zusammenfasst, dann aus dieser Zusammenfassung jeden Akt in einem Satz und schließlich aus den meist fünf Akt-Sätzen, einen einzigen für das ganze Stück bildet.
Was habe ich, fünfzehnjährig und altersgerecht im Vollbesitz der Wahrheit, berstend vor Stolz meine Zusammenfassung für den Faust vorgestellt: “Unrecht Gut gedeihet nicht”. Die Enttäuschung, dass sie wegen “Verfehlung der Aufgabe” (es ging schließlich darum, das Stück zusammenzufassen, nicht die Moral der Geschichte zu formulieren) noch nicht einmal in die Bewertung aufgenommen wurde, nagt noch heute an mir.
Anyway.
Nun aber zum gestrigen Abend im Bauhoftheater, wo das Spiel vom von einer Sinnkrise geplagten Gelehrten und seinem Pakt mit dem Teufel und dessen erwartbar unrühmlichen Ausgang dieses Jahr im Braunauer Theatersommer aufgeführt wurde.
Hut ab vor allen Beteiligten. Dem Faust, den jeder kennt in einer sehr texttreuen und wenig gekürzten Bearbeitung so überraschend viele neue Facetten abzugewinnen – das ist keine leichte Aufgabe. Und sie wurde brillant gelöst. Robert Ortner und Wolfgang Dorfner führen ihre Truppe gekonnt durch die Höhen und Tiefen des Dramas – in einem tollen Bühnenbild, übrigens. Sogar mit Drehbühne.
Statt einer Inhaltsangabe (wie gesagt, kennt eh jeder) gestatte ich mir, nur einzelne Ideen oder Szenen hervorzuheben, die diesen Abend so besonders machen.
Faust (Guido Drell) hadert in seiner Studierstube zu “Blue Bayou”, Gott (Hans Peter Luibl) wohnt im Ikea-Schick (sehr nett: Sarah Spermann als schusseliger Lampenanknipsengel), und Mephisto (Patrick Brenner) trägt in einem wunderbaren Playback Roy Orbisons “In Dreams” vor sowie einen schwarzen Slimfit-Anzug (später, bei den Lustbarkeiten, wird er sommerlich hell tragen und kurz an Christian Lindner erinnern). Und Hut. Und er kann das tragen. Die Figur ist weit weg vom diabolischen Flair eines Gustaf Gründgens, aber kein bißchen weniger teuflisch.
Seine beiden dienstbaren Geister (Dita Sommerauer und Julia Empl) sind ganz klar von Nina Hagen inspiert und wenn man die drei so zusammen sieht, kann man sich einer gewissen Sympathy for the Devil nicht erwehren. Aber ich greife vor.
Ist nämlich der Blutpakt erst geschlossen, stehen zwei Fäuste auf der Bühne. Der alte und ein stark verjüngter (David Hirmer), der sich jetzt in die teuflischen Vergnügen stürzt. Quasi: Das doppelte Faustchen. Interessante Idee, hatte ich so noch nie gesehen. Und von den beiden Fäusten sehr gut umgesetzt, ich habe selten so mit einem Faust gelitten. Normalerweise ist er mir irgendwann zu selbstgerecht und selbstmitleidig. Dieses Mal nicht.
Ganz großer Respekt vor Jennifer Kastingers Gretchen. Holla! Sie entkleidet sich zur Nacht mit dem “König in Thule” und auf die Idee, “Meine Ruh ist hin” mit einer Masturbationsszene zu verbinden, muss man erst mal kommen. Sieht man es aber, fragt man sich, was man denn aus dieser Vorgabe sonst machen soll. Auch in der Kerkerszene ist sie unglaublich stark. Das Bild mit dem angeranzten Teddybären wird mir noch eine ganze Weile haften bleiben.
Sehr viel Freude gemacht haben mir Gabriele Pointner als Marthe und Elke Kaiser als Hexe – ich habe es einfach gern, wenn man meine Lieblingsrollen mit solchen Talenten besetzt. Das ganze Ensemble umfasst fast 20 Schauspieler, zu viel, um sie alle namentlich zu nennen. Ihre Leistung als Kollektiv war wieder großartig!
Wir hatten, und das ist bei diesem Seltsamsommer eine Erwähnung wert, im übrigen keinen Tropfen Regen – und das, obwohl am frühen Nachmittag ein Unwetter tobte, das das Bühnenbild zu gefährden drohte und bis nach 18:00 Uhr noch ergiebige Regengüsse niedergingen. Was so ein Pakt mit dem Teufel nicht alles bewirkt. Oder, dass das Theater auf dem Platz zwischen zwei Kirchen gespielt wird. Wurscht. Hauptsache trocken.
Gestern Nachmittag bin ich auf dem Weg nach Niederbayern in ein ausgewachsenes Unwetter geraten. Blitz, Donner, Starkregen, orkanartige Böen, das volle Programm. Habe mich selbst dabei beobachtet, wie ich – nicht zwingend rational – bei jedem neuen Blitz, der über den Himmel zuckte, die Beschwörungsformel “Faradayscher Käfig, Faradayscher Käfig, Faradayscher Käfig” (drei Mal macht die Wirkung) aufsagte, und mich jedes Mal duckte, wenn wieder ein Baum mit Ästen auf das im Sehr-langsam-Schritt-Tempo vorbeidümpelnde Auto warf (sicherheitshalber noch ein weiteres “Faradayscher Käfig, Faradayscher Käfig, Faradayscher Käfig” eingeworfen), während die Donner krachten und adleräugige andere Verkehrsteilnehmer laut hupend mit aufgeblendeten Halogenscheinwerfern wilde Wasserwälle werfend vorbeirasten. Nicht schön.
Kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass auf dem Armaturenbrett des Corolla KEIN “Amphibien-Modus”-Knopf ist. NIRGENDS. Und ich habe nachgesehen. Und wie. Erwäge als Nachfolgemodell Tschitty Tschitty Bäng Bäng zu erwerben.
May macht wieder den Sommer – also genauer, eine der Sommerjazzwochen in der Unterfahrt. Dazu hat er eine brillante Combo zusammengestellt. Den Bass zupft sein alter Wegbegleiter Thomas Stabenow (zarte 70 Jahre alt), am Tenorsaxophon der andere Uraltkumpel Till Martin, komplettiert mit zwei Youngstern: Trompeter Julian Hesse und Pianist Julian Schmidt ( Gerade mal 26. Das ist die Art Musiker, von der man später angibt, dass man ihn ja schon als ganz jungen gekannt hat).
Ein jeder sehr Hach!
Sie spielen für ein hochbegeistertes Publikum Klassiker aus den Fünfzigern und Sechzigern vom Blue Note Label. Ihre Freude an der Musik und am Zusammenspiel ist sichtbar (Kunststück, einen Meter von der Bühne weg) und ein großer sagenhaft gut ausgesteuerter Ohrenschmaus. Jeder bekommt Raum für ganz exzellente Soli, May selbst brilliert am Schlagzeug, wie immer. Es hätte noch Stunden so weitergehen können.
Das kommt so leicht und unbeschwert daher, fedrig und groovig. Schee! Die wollen bloß spielen und alle, ob musizierend oder hörend lächeln glücksverklärt.
Wer Zeit hat, gehe hin. Die Merchants sind noch bis einschließlich Samstag im Keller.
Hallo Hochsommer,
du bist die Zeit für bloße Füße in Sandalen und Leichtgewand. KEIN Unterhemd. KEIN Schälsche, weil der Hals friert.
Weißt du, wie ich heute früh aus dem Haus gehen mußte? Mützeschalhandschuh, Unterhemd, Pulli, Jacke (3 Schichten! Also zwei zuviel!), warme Jeans und Schuh und Strümpf. Grad, dass ich die Hermelinunterwäsche noch in der Schublade gelassen habe.
Okay, Mütze und Handschuhe waren gelogen. Aber der Rest nicht.
Holla, Hochsommer, heda! Nicht mit mir, nicht im Juli. Jetzt wollen wir den Regler schön wieder hoch drehen und dann da lassen. Nicht, dass die Frau flockblog richtig böse wird.
Poetry-Slammer und Abstrusautor Kirps (s. a. https://flockblog.de/?p=47027) nimmt sich in diesem Buch Geschichten aus dem europäschen und angelsächsischen Kanon zur Vorlage und läßt sie in seiner Deutung vollkommen neu lesen.
Kafkas “Verwandlung” aus der Perspektive einer zum Menschen gewordenen Stubenfliege ist ein wunderbar gelungenes Kabinettstück, die anderen auch. Mein Favorit ist die Geschichte der Sklavin Tullia und deren Umsetzung ihrer Maßnahmen zu Jobzufriedenheit, basierend auf Prosper Mérimées mir nicht bekannter Erzählung „La Venus d`Ille“. Frage mich allerdings, inwieweit sie selbst Herrn Mérimée vertraut vorkäme und finde, dass das ganz egal ist.
Wer gerne gut unterhalten wird und vielleicht Lust hat, auch mal was vorzulesen (zB die Geschichte vom entlaufenen Eisbären aus dem Berliner Zoo und seine Begegnung mit der hippen Hauptstadt), der ist hier richtig gut bedient.