Band 1: “Scythe” (Deutsch: “Die Hüter des Todes”)
Hör zu, es ist kurz vor knapp. Die Menschen haben ihren Planeten zugrundegewirtschaftet, der Weltuntergang ist nahe. Doch es besteht kein Grund zur Furcht, denn eine gütige künstliche Intelligenz hat übernommen. Hungersnöte, Umwelt- bzw. Klimakrise, Wetterkatastophen, Kriege? Krank- und Sterblichkeit? Längst überwunden. Politik? Sinnsuche? Unnötig geworden. Der gute KI-Papa “Thunderhead” hat die Weltökologie wieder ins Gleichgewicht gebracht, jeder hat genug zu essen, einen Platz zum Wohnen, ein gutes Grundeinkommen, das Blut voller Nanoteilchen, die Krankheiten ausschließen und Verletzungen heilen, wobei sie Schmerzen selbstverständlich sofort unterdrücken. Alle sind young, strong and healthy, und wenn nicht (mehr), lassen sie sich beliebig oft verjüngen. Der Thunderhead ist omnipräsent, Ratgeber, Überwacher, Kind- und/oder Elternersatz, Bezugsperson und Versorger – ich fand allein die Vorstellung grausig, Shustermans Menschheit scheint mit dem Modell sehr zufrieden. Der Thunderhead ist alles. Herrscher über das Leben der Menschen – nicht aber über deren Tod.
Die einzige Methode, wie sich in dieser seltsamen heilen Welt die Frage der Überbevölkerung lösen läßt, ist eine Art Orden, der fürs Todbringen zuständig ist, die Scythes. (Genau, korrekte Assoziation: Sensenmann.) Man sollte meinen, dass eine künstlichen Intelligenz auf bessere Lösungen gekommen wäre. Dann wärs aber keine Trilogie geworden. Mit verkauften Filmrechten…
Aber genug Metaeebene und echtes Leben: der erste Band ist sehr okay. Ein Scythe (klug und edel) nimmt zwei Lehrlinge (männlich und weiblich, pubertierend) auf und Shusterman nutzt dieses Setting, seine schöne neue Welt vorzustellen.
Da ist viel Schönes dran, er schreibt kurzweilig, auch, wenn der Plot, den er entwickelt, recht vorhersehbar ist. Das mag nun auch dem Umstand geschuldet sind, dass die Zielgruppe Young Adults sind und ich schon gehobeneren Alters… Aber wurscht, der erste Band funktioniert, die Auswüchse dieser Art Gesellschaft sind logisch hergeleitet und machen Spaß.
Beispiel: Sterben ist nur möglich durch “Gleanen” (genau, von “clean”, total raffiniert) eines hierfür ausgebildeten Scythes. Alles, was sonst zum Tode führt, ist reparabel. Zum Beispiel der Sprung von einem Hochhaus, der für manche Menschen zum Hobby wird. Ja, der Proband ist anschließend “deadish”, wird aber umgehend von eine “Ambu-Drohne” in ein Revivalzentrum überführt, wo er wieder hergestellt wird. Wie neu.
Gegen Ende des ersten Bandes stehen sich die beiden Azubis in einem tödlichen Duell gegenüber, der/die Überlebende kriegt den Ring (Scythe tragen dicke Brillies), der/die Unterlegene sollte tot sein. Ist er/sie aber nicht. Soweit zur Vorhersehbarkeit. Und weiter zum 2. Band.
2. Band “Thunderhead” (Deutsch: “Der Zorn der Gerechten”)
Ein Kessel sehr Buntes mit alles und scharf. Shusterman hat zu Zeiten Psychologie und Theaterwissenschaften studiert, was man deutlich merkt, und muss eine sehr gute Research-Crew um sich haben. Er schmeißt mit umfassendem Bildungsbürgertumwissen um sich und ist ausgesprochen fasziniert davon, immensen Luxus ausführlich zu schildern.
Inhaltlich geht es um… Nun ja, erwartbar. Alte und neue Ordnung. Die einen halten Ethos und Aufgabe des Scythetums, das in Pomp und Organisation an die katholische Kirche erinnert, hoch, die anderen wollen Spaß und “gleanen” weg, was ihnen vor die Waffen kommt, gerne auch in blutigen Massentötungen. Viele Handlungsfäden, noch mehr Figuren, die halb, ganz oder doch nicht tot sind, Verschwörung, Kabale, Liebe. Gaaaaanz großer Showdown.
Band 3 “Toll” (Deutsch: “Das Vermächtnis der Ältesten”)
Jetzt ist Aufräumen angesagt. Die Helden aus den ersten Bänden sind erst einmal im Weg, also kommen sie nicht vor. Dafür ein paar neue Figuren bzw. alte, die sich schon wieder neu erfinden und außerdem Seefahrt, einsame Inseln, Bunker, Aufbruch zu den Sternen, noch-schnell-ein-Paar zusammenbringen und dann ist aber auch gut. Ach ja, die Bösen kriegen ihr Fett weg, die Guten einander, so wie es sein soll.
Nein, nochmal falle ich auf Shustermann nicht rein. Er kann gut, flüssig und mitreißend schreiben, fraglos. Das Universum, das er entwickelt, ist mindestens interessant, in Teilen faszinierend. Aber. Und das bleibt ein großes Aber: schon die ursprüngliche Prämisse enthält nur mit Wohlwollen eine gewisse Logik. Und um dieses Konstrukt und die nachfolgenden hanebüchenen Ideen zusammenzuhalten, muss er immer tiefer in die Trickkiste greifen und auch die rausholen, die beim Publikum schon beim ersten Mal durchgefallen sind. Mich nervt das, aber ich bin, wie schon oben erwähnt, mindestens 40 Jahre älter als die eigentliche Zielgruppe.
Immerhin: ich habe endlich einmal wieder am Stück viel gelesen. Und das nächste Buch auf dem Stapel ist von Margaret Atwood.