Ob mir Visappartementia, die Göttin der Wohnungsbesichtigungen ganz besonders huldvoll gesonnen war oder ob es an meinem unglaublichen Talent für Logistik liegt, sei dahingestellt. Ich hatte am Dienstag geschickterweise gleich zwei aufeinanderfolgende Besichtigungstermine in Deep Down South Munich, wo die Schweiz für die Benennung der Straßen Patin gestanden hat.
Als ich 10 Minuten vor Termin #1 eintreffe, stoße ich als Letzte zu der bereits wartenden Besichtigungsgruppe des Tages. Ausschließlich Frauen, eine junge hoffnungsfrohe Schwäbin, ein Mutter- und Tochtergespann (die Tochter in meinem Alter, was mich vermuten läßt, daß Helikopter-Eltern kein wirklich neues Phänomen sind) und ich. Offensichtlich kennen sich die Damen schon viel besser aus als ich, die ich einfach von Natur aus überpünktlich bin, der Hausmeister kommt nämlich ebenfalls 7 Minuten zu früh und verbellt uns in bester Deutscherschäferhundmanier in den Aufzug. Wer hier pünktlich kommt, den bestraft der Wohnungistschonweggott.
Der Hausmeister (Dresscode verwaschener Blaumann), legitimer Sproß einer Dynastie von Blockwarten, Abschnittsbevollmächtigten, Wohnungsführungen unter ihrer Würde findenden und grundsätzlich sowieso notorisch schlecht gelaunten Zeitgenossen drückt “5”. Nichts. Drückt nochmal. Immer noch nichts. Zückt seinen Hauswartschlüssel, dreht, schimpft, flucht, dreht wieder. Nichts. Wir stecken fest. Scheene Scheiße! Er drückt Knöpfe, dreht und macht, beflucht die “Scheißtür” und den “Dreckslift”, drückt, schiebt, schwitzt, strahlt über die ganze Glatze bis in den allerletzten Blondhaarstoppel in gesundem Gekochterhummerrot, wischt wieder und wieder Schweißbäche in die Gesichter der ihm Nahestehenden (also alle Damen in diesem Lift) drückt, flucht. Wir Nichthausmeister stehen eng an eng im Schulterschluß und weil wir alle wg. scheißkaltem Herbstwetters mollig warm angezogen sind, haben wir inzwischen auch sehr sehr rote Hitzewallungsbäckchen bekommen. Die ersten Reißverschlüsse zzzirrren (oder wie immer dieses Geräusch korrekt heißen mag) und Schals, vielmehr Loops (Schals trägt man wohl nicht mehr), werden abgewickelt.
Dann wirds interessant. Die Tochter atmet schwer, verlangt nach lauthals nach Lu-uft und zwar sofort, und als Sesam sich trotzdem nicht öffnen will, kreischt sie “Wir werden alle sterben” und tritt um sich. Dabei trifft sie a) ein paar Schienbeine, b) den Gehstock ihrer Mutter, was die alte Dame zwar ins Wanken bringt, aber angesichts unserer Ölsardinendichte nicht zu wirklichen Problemen führt (außer, daß sich in der Enge wirklich keiner bücken kann und wir den Stock mit den Füßen an der Wand lang wieder in ihre Richtung schieben müssen; klappt aber nach ein paar Anläufen) und c) die Rückwand des Aufzugs, die mit einem entsetzlich lauten Schepperknall auffliegt. Dahinten lauert aber nicht, wie man das aus einschlägigen Filmen kennt, der Abgrund, sondern eine Art Podest im Schacht. Auf den zieht sie sich zurück und verlangt lauthals und mit osteuropäischem Akzent abwechselnd nach “LU-UFT” und “FEIERWEHRR”. “Niiicht Aufzug, meine Läbbn retten!” Dazu hechelt sie mehrlingsgeburtenwürdig.
Der Hausmeister drückt, schiebt, schwitzt, wischt und flucht im Quadrat. Die Tür bleibt zu, die Dame dreht noch mehr durch. Ich habe einen asthmakranken Menschen in der Familie, ich kenne sowas, also übernehme ich die Atemübungen: “Durch die Nase ein eiins, zweiii, dreiii, viiier, fünf, durch den Mund aus eiins, zweiii, dreiii, viiier, fünf. Langsam. Hier, nehmen Sie meinen Notizblock, und fächeln sich Luft zu. Langsam. Ruhig. Wollen Sie sich hinsetzen?” Im ersten Moment ist sie so verblüfft, daß sie tatsächlich mitmacht und eine Weile Ruhe gibt, dann aber überwältig sie die Panik wieder und sie gerät mehr und mehr außer sich. Stampft, kreischt, ächzt, stöhnt und fächelt so wild mit dem Block, daß die Dame neben ihr Gefahr läuft, ein steifes Genick zu benommen. Ich nehme ihr das nunmehr Restfetzending mit Spiralbindung wieder ab und wedele gaanz gaaanz langsam. “Mit jedem Luftschwall durch die Nase ein eiins, zweiii, dreiii, viiier, fünf, durch den Mund aus eiins, zweiii, dreiii, viiier, fünf.” Es hilft nicht. Die Panik hat die arme Frau nun voll in ihren Klauen. Sie tritt, stampft, kreischt, brüllt Unverständliches oder ruft die Jungfrau Maria und alle ihr bekannten Brandmeister an, leidet zusehends mehr. Ihre Mutter starrt zu Boden, die junge Frau daddelt auf ihrem Handy herum und der Hausmeister versucht unter allergrößter Anstrengung, die Türen doch noch aufzubekommen, muß sich geschlagen geben, erreicht aber dafür endlich den Aufzugnotdienst. Die sind gut geschult und eine Frauenstimme wie Valium versichert, es werde bald jemand kommen, der uns befreit. Ich florencenightingale weiter und hab’s sooo dick! Inzwischen ist die Luft mit Buttersäure schwer übersättigt, der Geräuschpegel ungefähr Berghain um viere früh und die Temperatur mindestens “Nur-Für-Harte-Kerle”-Sauna. Angesichts der Stimmung in dem heißen Stinkkabuff mit Wackel und Gebrüll scheint es mir angeraten, auf das Scherzle “Bademeister, Aufguß bitte” zu verzichten. Wäre eh viel zu billig gewesen.
Draußen vor dem Aufzug hat sich in der letzten halben Stunde eine kleine Menschenmenge versammelt (es ist Feierabend und die wollen heim). Ein vernünftiger Mensch ruft die Feuerwehr, teilt uns mit, daß es höchstens sieben Minuten dauern wird, bis sie kommt, jubiliert uns nach 11 Minuten zu, daß jetzt schon der Einsatzwagen vorfährt und dann versuche ich, unsere arme Hysterikerin soweit zur Ruhe zu bringen, damit wir die Anweisungen der Feuerwehrleute irgendwie verstehen können. Kaum ist ein knapp 10 cm breiter Schlitz offen, stampeded sie nach vorne und dengelt sich mächtig den Schädel an, das sorgt aber wenigstens einen Moment für Ruhe und der Hausmeister und ich können die leicht Benommene fürderhin im Eisengriff von der Tür fernhalten. Nochmal 10 Minuten später sind wir wieder draußen und alles gut, keiner verletzt, außer einem kleinen Hörnchen auf der Tochterstirn.
Herr im Himmel, ist das hier mal angenehm kühl! (Merken! Sowas sage ich nicht oft, da muß ich vorher schon mal ein knappes Stündchen in warmen Wollklamotten in einem engen überbesetzten Aufzug festgesteckt haben.)
Wie? Ach so, die Wohnungen. Genau. Da war was. Wir steigen in den 5. Stock, besichtigen eine offensichtlich schon seit längerem leerstehende Zweiraumwohnung ohne Küche und mit vielen zweckfreien Nischen und Winkeln und wo wir grad da sind, erklimmen wir auch noch das 7. Stockwerk, können aber wegen fehlenden Fußbodens die gerade in Renovierung befindliche Wohnung nicht ansehen. “Das”, befindet der Hausmeister “macht aber nix. Sieht aus wie die drundn. Sehn alle so aus hier im Haus.” Dankeschön. Das hätte Ihnen vielleicht vor der Tour nach oben auch einfallen können, Sie Sadist. Ist es aber nicht, kein Wunder bei der Ahnenreihe. Depp!
Wenn ich mir in der Gegend nochmal was anschaue, dann aber nur mit Steigeisen und Jausenpaket im Rucksack. Und ich werde vorher etwaige Klaustrophobie bei meinen Aufzugsgenossinnen – und genossen abfragen.
lovit!