Gelesen: Margaret Atwood – “Katzenauge”

Wie immer, yadda, yadda, Nobelpreis, hinnemachen, oh Kommitee, großartige Autorin.

Das Buch ist vor über dreißig Jahren erschienen und Atwood schon damals in Höchstform. Meine Fresse! Wie oft habe ich schon überlegt, dass, was ich da lese, autobiographisch sein muss, weil kein Mensch soviel über einen anderen wissen kann. Wie er denkt, woraus sich seine Handlungen begründen, wie er fühlt, jetzt, in diesem Moment, was er träumt. Angesichts der schieren Zahl von Frauenfiguren, die Atwood geschrieben hat, ist sie entweder von einer größeren Gruppe multipler Persönlichkeiten besessen (nein) oder: sie weiß und kann es. Wiewohl sie natürlich, gerade in diesem Werk, ihre Kindheitserfahrungen benutzt, um das Porträt der Protagonistin zu zeichnen.

Wir lernen sie noch als kleines Mädchen kennen, das frei und mutig mehr draußen als in geschlossenen Räumen aufwächst und, erst als die Eltern seßhaft werden, eine Schule besucht. Eine Schule, in der sie von drei anderen kleinen Mädchen auf das grausamste gemobbt wird. Diese Jugend im bigotten Umfeld in der kanadischen Provinz der Nachkriegsjahre wird sie und die Kunst, die sie schließlich produzieren wird, ein Leben lang prägen. Atwood verflicht das Menschen- also Frauen- und Männerbild der prüden Fünfziger, der Aufbruchssechziger und der fast wilden Siebziger ganz eng mit dem Leben ihrer Heldin. Sie macht jede Erfahrung als Individuum, die wir inzwischen als Geschichte, nicht zuletzt des Feminismus, kennen. Und dann die Herausforderung, als Schreibende ausgerechnet eine Malerin zur Hauptperson zu machen. Bildende Kunst also schreiben, beschreiben zu müssen. So gelungen, dass ich einige Gemälde geradezu gesehen habe. Wie schon eingangs gesagt, großartig. Unbedingt lesen!

Mein Exemplar war ein Mitbringsel vom großen Bücherräumen vor ein paar Wochen. Von Charlotte Franke ins Deutsche übersetzt. Ich hatte bis dato noch nie ein Werk von Atwood nicht in der Originalsprache gelesen und, ja, holla, Hut ab! Hier hat sich jemand Gedanken gemacht, die Worte der Autorin in die eigene Muttersprache überführt und mit Achtung behandelt. Dass die Übersetzerin eher ein Nordlicht ist, merkt man der Sprache an, auch, dass sie inzwischen um gute dreißig Jahre gealtert ist, die Sprache. Wer würde heute noch den Begriff “Speibeutel” für das Ding in der Sitztasche des Flugzeugs verwenden? Eben.

Aber sie schafft es, den Atwoodschen Sog auch in einer anderen Sprache abzubilden, gar zu erzeugen. Holla hoch drei.

Lesen! Lesen! Lesen!

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