(Text Bearbeitung: Thomas Melle; Inszenierung: Stefan Pucher)
Die haben da ein großartiges Ensemble in den Kammerspielen, meine Fresse! Thomas Schmausers Lear ist ein Geck und viel jünger, als ich mir den alten König immer vorgestellt habe, aber man will ihm die wachsende Verzweiflung und das Leiden an der Welt und ihren Menschen und sein zunehmend schwammiges Gehirn gern glauben. Samouil Stoyanov Narr ist soviel mehr kongenialer Begleiter des kranken Königs und soviel mehr Realpolitiker als es als Graf Kent je sein darf – und das sind sie dann auch schon, die Old Men, für die es kein Country mehr gibt. Der Rest sind die jungen Männer, Gloucesters Sohn (und Major Tom, mit der E-Gitarre vom Himmel hoch) Edgar (Christian Löber) und ihr Bastard, Edmund (Thomas Hauser – ein herrlicher Hasser, Begatter, Intrigant, Lügner, Betrüger, Feind. Melle hat ihm eine ganz tolle Rolle geschrieben und er spielt wie um sein Leben. Zurecht.)
Und die Frauen. Zunächst Gloucester (im Original ein weiterer alter Mann), die Wiebke Puls als Mittlerin zwischen der alten Männerwelt und diesen neuen grausamen Frauen spielt und die einen den ganzen Abend an die große Tilda Swinton denken läßt, der sie mehr als ebenbürtig ist. Und natürlich Lears Töchter und Personal. Cordelia, die Aufrechte, die in dieser Inszenierung aus unerfindlichen die älteste sein soll (ein Typ wie Gianna Nanini, Jelena Kulic) und wieder und wieder scheitert. Oswald (Anna Seidel), die Dienerin, der nur der Freitod bleibt (da kommt zum Geschlecht noch die niedere Geburt, das ist zuviel.) Und die beiden anderen Töchter, Goneril, die Kalte (Julia Windischbauer), im Gespann mit Regan (Gro Swantje Kohlhof), dem schnippischen Gör, die die alte Welt aus den Angeln heben, weil sie sie durchschauen, die Muster brechen (“noch einmal nach den alten Regeln, aber dann…”) und sich nicht beugen (lassen).
Die Inszenierung ist eine Mischung aus Guckkasten, Videoinstallation, Drehbühnenaufbau (mit Jalousien), weitem leerem Raum und unheimlich schnell. Ich habe nicht verstanden, warum man die SpielerInnen in Glitter steckt, oder warum vor der Bühne geflügelte Pappkrieger stehen, aber das muss ich auch nicht. Der Soundtrack ist von den Doors, “Riders on the Storm”, David Bowie “Major Tom” und was Dahingebrummeltes von Tom Waits und sehr genial gesetzt.
Ich glaube, Shakespeare hätte gefallen, wie Melle seine Sprache ins dritte Millennium transponiert. Mir auf jeden Fall. Und dem frenetisch applaudierenden Publikum auch.