Mein erster war “It” und vor lauter gebannt lesen und wissen wollen, wie die Geschichte vom bösen Clown Pennywise ausgeht, habe ich einen Jahreswechsel verpaßt. Während die anderen auf der Silvesterparty Feuerwerk abbrannten und auf das Neue Jahr anstießen, hatte ich die Nase im Buch. Danach verschlang ich in loser Folge “Brennen muß Salem”, “Christine”, “The Shining”, “Carrie”, “The Stand”, alle unter dem Pseudonym Richard Bachmann geschriebenen Romane, “Friedhof der Kuscheltiere”, “Misery” und “Dolores”, “Needful Things”, viele viele Kurzgeschichten, “The Green Mile”. Ungefähr mit dem Erscheinen von “The Girl” (die schwarze und die weiße Ausgabe) verlor ich King ein wenig aus dem Augen.
Zu Anfang des dritten Millenniums quälte Stephen King sich nach einem fast tödlich verlaufenen saudummen Autounfall (er war als Fußgänger von jemandem über den Haufen gefahren worden, der durch seinen frei im Auto herumtobenden Hund abgelenkt war) durch eine mühsame Rekonvaleszenz, ich hatte andere Wunden zu lecken und das, was er in dieser nachtschwarzen Phase schließlich unter großen Schmerzen schrieb (die Dark Tower Serie), sprach nicht zu mir.
2012 dann überschlugen sich die Feuilletons mit Lobgesängen auf seinen Roman zur Ermordung JFKs (“11/22/63”); warum ich den bisher noch nicht gelesen habe, weiß ich auch nicht – vorgehabt hätte ich es. Dafür habe ich in den letzten beiden Tagen “Revival” verschlungen. Holy Terror, was ein dunkelschwarzes Buch! Eine Ich-Erzählung, die oberflächlich als Schreibtherapie für Kings eigene Traumata gedient haben mag: Drogensucht und -entzug, höllische Schmerzen nach einem Motorradunfall, die sich lesen wie Kings Krankenakte. Oder als Generalabrechnung mit unserer Welt in unserer Zeit. Mit den falschen Heilspropheten, mit den Bildern einer Heilen Welt, die alles andere ist als heil und gut, mit der Fortschrittsgläubigkeit, die uns Reaktorunfälle wie Tschernobyl und Fukushima beschert hat, mit der Menschen Unzulänglichkeit und mit dem bösen Sadismus ihrer Götter. Und damit, daß immer alles seinen Preis hat, und dieser Preis immer höher ausfällt, als man es sich gerade noch vorstellen kann.
Was immer ihn getrieben hat, dieses Buch zu schreiben, es ist böser und schlimmer als jedes seiner früheren Horrorszenarios. Dieses Mal gibt es keinen Silberstreifen am Horizont, noch nicht mal ein winziges Happy End für die, die ohne Schuld sind. In “Revival” glaubt King nicht mehr an Unschuld. Nur noch an das unvermeidliche schreckliche Ende.
Ein früher Höhepunkt des Buches ist “The Terrible Sermon” (Die Schreckliche Predigt), in der die zweite Hauptfigur des Buches und Nemesis des Ich-Autors, ein Priester, nachdem ihm Frau und Kind in einem saudummen Autounfall krepiert sind, in einer unheiligen Mixtur aus Blasphemie und Zynismus mit seinem Gott hadert und ihm schließlich seine weitere Gefolgschaft aufkündigt und sein und anderer Leben in die eigenen Hände nimmt – man meint ununterbrochen das irre Lachen eines verrückten Wissenschaftlers zu hören.
King ist wieder da. Schreiben kann er immer noch wie der Teufel. Dabei ist er konziser als früher, hat verstanden, daß langschwafelig nicht unbedingt gut bedeutet und irgendwann wird er einen Lektor finden, der ihn darauf hinweist, daß es nicht nötig ist, eine Formulierung, die er gerade besonders schön und gelungen findet, alle paar Seiten zu wiederholen. Ich bin gespannt, ob er je wieder Gnade walten lassen kann.
Lesen! Lesen! Lesen!