Zu spät

“Big Moving Sale” in der Nachbarschaft. Die Dame vor mir feilscht um jeden Cent, Nickel und Dime, bis ihr die Verkäuferin mit einem zuckersüßen Lächeln 20% Seniorenrabatt auf alles anbietet. Da winkt die Kundin mit großzügiger Geste ab, zahlt den vollen Preis und zieht mit ihren Schätzen von dannen. Ich kann ja wieder das Maul nicht halten und teile halb beiläufig (und auf die gleiche Großzügigkeit hoffend) mit, daß ICH den Discount genommen hätte. Mir doch wurscht wie der heißt. Mir, bescheidet die Verkäuferin, hätte sie ihn genau deswegen nicht angeboten. Das funktioniere nämlich nur bei diesen amerikanischen Schnepfen, die alle partout nicht älter werden können. Dann wechselt sie ins Deutsche, mit leichtem amerikanischen Einschlag: “Ich kenne meine Pappenheimer.” “Und Ihren Schiller”, versuche ich es jetzt mit Einschleimen. Mir doch wurscht, weswegen ich für meine Habichdiejetztwirklichnochgebraucht-Salatschüssel weniger zahlen muß. Darüber kommen wirs ins Ratschen und werden dabei laufend von anderen Zahlungswilligen gestört. Ob ich noch ein bißchen Zeit hätte? Hab ich. Mein Wassertritscheln fällt heute aus und mehr hatte ich nicht vor. Prima! Gatte Harry wird zur Kassenkraft ernannt (“Harry, your turn”), “die Moni”, die Schüssel und ich gehen rein ins Haus, auf Umzugskartons echten Bohnenkaffee trinken und Lebensgeschichten austauschen. In fließendem Denglish, sehr lustig.

Moni war in den Siebzigern Krankenschwester in einer deutschen Kleinstadt und auf ihrer Station wurden Verwundete aus dem Vietnamkrieg behandelt. Auch Harry. Den sei sie einfach nicht mehr losgeworden (O-Ton, breit grinsend), nach erfolgreicher Genesung habe man geheiratet und dann sei sie als “Soldatenbraut” mit nach Amerika gegangen. Was weder bei ihrer noch bei seiner Familie auf große Gegenliebe stieß, den beiden aber egal war, weil sie ohnehin alle zwei Jahre irgendwo anders hin versetzt wurden. “A soldier and a nurse always find a job.” Irgendwann Anfang der Neunziger trennte sich Harry von der Army und wurde “High Level Security Guard, sorry, no details”. Nun sind sie beide im Rentenalter und wollen lieber in Deutschland alt sein als in Amerika und dieses Mal sei er dran mit Kontinent tauschen, das hätten sie schon damals so ausgemacht. Montagfrüh kommen die “Movers” und beladen den Container und nachmittags die Heilsarmee, die kriegt alles, was heute nicht verkauft wurde und die Einnahmen, es gehe bei dem Yard Sale hier eher um Ablenkung als um Profit. Ganz leicht falle ihnen der Abschied nämlich nicht, “you know, breaking up is hard to do”.

Eine Stunde gelebte Zeitgeschichte ist wie im Flug vergangen, bis Harry wieder auftaucht, weil er Unterstützung braucht, da die Kundschaft inzwischen “all game crazy” sei und ihre Einkäufe noch vor dem Beginn des Giants-Spiels erledigen wollten. Jetzt aber. Bezahlen. Ich will auch gar keinen Rabatt mehr. Und bekomme die Salatschüssel mit einer dicken Umarmung geschenkt. (“Geht aufs Haus. Denk’ manchmal an mich.”) Nun habe ich einen Kloß im Hals und tue mir so recht von Herzen leid. Warum lerne ich so einen interessanten und liebenswerten Menschen wie Moni erst zwei Tage vor ihrer Abreise kennen? Hmmm? Am Timing, liebes Universum, mußt du wirklich noch arbeiten.

Und heute Abend gibt es Tamales. Mit Salat!

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