Wir sind doch erst Vorvorvorvorgestern zwengs Treffen auf halber Strecke in Miami gelandet. Mitten in der Nacht, bei 30°C seeeehr feuchter Hitze habe ich mich von Armand von den „Islands“ mit dem weichen Singakzent und der interessanten Familiengeschichte – sowohl das Fräulein Großmutter wie auch das Fräulein Mutter sind im sehr schwangeren Zustand irgendwie schnell von Haiti nach Miami gekommen und haben dort kleinen Amerikanern Leben und Staatsbürgerschaft geschenkt – ins Hotel Chelsea bringen lassen. Dahin, wo sich Boutiquehoteldesigner austoben und lustige Wasserwände in die Lobby stellen, Kupferapplikationen an alle Wände schrauben, es schaffen, diese mit Halloweenverzierungen zu versaubeuteln und – Gipfel des Mutdesigns – Kronleuchter mit schwarzen Plastiklampenschirmen verkleiden und dann über Christophs Bett hängen.
Miami: Christoph und ich geben diesem Städtemoloch mit seinen Condowabentowers, (condominium = Eigentumswohnung, besiedelt von wärmesuchenden Senioren aus Bundesstaaten mit wechselnden Jahreszeiten), dem Farbengebrüll aus Türkis, Rosa, Lila, soweit das Auge reicht (das ist nicht geschmacklos, sondern gilt als Art Deco), den Autobahnunter- und überschleifen ziemlich schnell die Note “ein Mix aus Los Angeles und Palm Springs und von beidem das schlechtere erwischt”. Kuba ist allerorten, ob dargestellt von den beiden älteren Herren, die in Picknick-Klappstühlen vor dem Fernsehgeschäft einem Football-Spiel beiwohnen, dessen Soundtrack sie aus einem Radio beziehen oder dem allgegenwärtigen “Cafe con Leche” und natürlich Rum. Auf dem Ocean Drive, der Touri-Abzockmeile schlechthin, reicht man Mixgetränke in Literkübeln, gerne getoppt von kopfüber hineingestoßenen Coronas oder Red Bulls und garniert mit allem, was der tropische Obstgarten so hergibt. Wir nehmen die kleinsten (knapp Eindrittelliter) und essen auch nur Kleinigkeiten – trotzdem werden wir während der ganzen Reise nie mehr so viel Geld für ein Dinner ausgeben. Heimzus kommen wir an der Praxis des Family Doctor vorbei, der neben “Flu shots” auch Botox-Behandlungen zu Discount-Raten anbietet. Egal, wir bleiben eh nur die eine Nacht und verlassen Miami mit unserem frisch geliehenen Mustang in Edel-Grau Richtung Everglades City.
Viel flache weite Landschaft säumt unseren Weg, durchzogen von Kanälen und Wasserläufen. Die gesamte Vegetation ist sattgrün, langbeinige leuchtweiße Reiher stolzieren durch den Swamp, die dicken Wolken haben eine Neigung zur Inkontinenz. Der Regen bringt keine Abkühlung, es bleibt heiß und wird zunehmend schwüler, wir haben keinen trockenen Faden mehr am Leib. In der “Oasis”-Ranger Station lassen wir uns unsere Nationalparkkarte geben und werden noch schnell hinters Haus geschickt, den Boardwalk (Holzsteg) ablaufen. Super! Da dümpelt wahrhaftig eine Handvoll photogener Gators im Kanal und Vogerl am Ufer und Wuchergrünzeugs und fette Spinnen. Quasi die Light-Version von Floridas Flora und Fauna – alles da und keine 50 Meter vom Parkplatz weg. Ein schwaches Stündchen später checken wir im “Captain’s Table” ein und verfaulenzen den Rest des Tages im Captains Pool, für alles andere ist es einfach zu heiß. Und zu schwül. Außerdem haben wir beide Jetlag. Und Ferien.
Everglades City ist eine ganz seltsame Siedlung. 500 Einwohner (dabei sind die umliegenden Gemeinden schon eingerechnet) auf irrwitzig viel Fläche. Knapp ein Viertel ist unter 18 Jahren; die Schule für alle Altersklassen zusammen ist nicht wesentlich größer als ein großzügiges Einfamilienhaus. Im letzten Jahr haben vier Jugendliche erfolgreich “graduiert”, bestimmt, weil sie sich immer brav an den Dress-Code http://bit.ly/1hgF54m gehalten haben… Go Gators! Sonst gibt es außer ein paar Restaurants, Liquor Stores und Touristenaufbewahrungsstätten nichts. Das ist wieder so einer der Orte, in dem man nicht einmal tot über dem Zaun hängen möchte.
Tun wir auch nicht. Wir fahren Schifferl. Am nächsten Morgen mit unserem Kapitän Dave durch den dichten Mangroven-Swamp. Unter der Brücke nach Chokoloskee durch, die auch die Manatees als Abkürzung für ihre Warmwassertummelbucht nehmen und sehen sogar ein paar Nasen aus dem Wasser prusten. Die mag ich. Fette, sanfte Vegetarier, nix außer in warmem Wasser rumdümpeln im Sinn. Ein paar Gators sind unterwegs, sogar Delphine, allerlei Lang- und Kürzerbeinvögel (Mother Nature hat es gefallen, in dieser Gegend Vögeln pinkes Gefieder zuzuteilen, sie ist manchmal halt zu albern) und ducken uns unter wasserlaufüberspannenden kunstvollen Geweben weg, in denen die zugereisten Bananenspinnen auf Beute lauern. Mangroven wachsen vielwurzelig bis mindestens Kniehöhe in Salzwasser und alles, was in dieser feuchtwarmen Hitze wuchern kann, wuchert. Gras auf Bäumen, Flechten um Äste, Winden von einem zum nächsten zum übernächsten. Dicht an dicht, aufeinander, untereinander, nebeneinander, umeinander, jeder mit/an/auf/unter/über/in jedem, alle mit allen. Überbordend fruchtbar. Man traut sich nicht, in den Swamp zu spucken. Man könnte ein Bäumchen zeugen.
Nachmittags borden wir ein größeres Boot, bemannt mit Kapitän, Maat und deutschen Touristen und schippern zwischen den “Ten Thousand Islands” herum. Wir fahren bei Ebbe aus, nicht alle der Inselchen werden auf unserem Rückweg noch da sein, aber dafür morgen wieder und vielleicht woanders. Nicht Chokoloskee. Das bleibt, weil es auf einem Fundament von Krustentierschalen gebaut ist. Warum die indianischen Ureinwohner das so gemacht haben, sei ein Rätsel. Man könne sie aber leider auch nicht mehr fragen, denn sie seien nicht mehr da. Sie seien mit den zugereisten Spaniern seinerzeit wohl nicht so gut ausgekommen, diese Indianer… Das wars dann aber auch mit Lokalgeschichte. Wir sind hier schließlich nicht zum Spaß. Der Maat hat die Aufgabe, den Kapitän auf Delphinvorkommen hinzuweisen. Sind diese angesteuert, ist es Aufgabe der Delphine, sich von den Kameras wegzuducken. Delphine sind zum So-Merken, ohne Photodokumentation. Und deshalb habe ich mir das Bild von Flipper, der auf seiner Rückenflosse auf unserer Bugwelle reitet, auch ganz fest eingeprägt. Sowas Schönes!
Was soll man als Tourist denn machen, wenn ein Inselchen so hübsch Chokoloskee heißt, am allersüdlichsten Zipfel liegt und Carlos dort sein Havana Cafe http://myhavanacafe.com/ führt? Genau. Sein Abschiedsfrühstück nehmen. Was sonst? Der Meister selbst trägt uns seine Speisekarte vor. Sämtliche Gerichte sind “the best you can get in this world”, die Omelettes “to die for” und erst seine selbst gemachten “Home Fries”, so gut, daß selbst ihm die Worte fehlen. Wir bestellen munter auf der Speisenkarte herum und schlemmen. Und loben Carlos und alle, die sonst noch so vorbeikommen und wissen wollen, ob’s denn schmecke mehrfach mit vollem Mund und wollüstigen “HMMMMMMM”s.
Vorbei an den “Panther überfahren verboten” und blinkenden “Wildlife on the Road”-Schildern verlassen wir das “Big Cypress National Preserve” wieder. Aber nicht gleich. Erst mal wandern wir noch einmal auf einem Boardwalk durch den Swamp und bestaunen die Vegetation in einer Welt, in der die Grenzen zwischen Wasser und Land aufgehoben sind. Dann fahren wir auf den “Loop”, 26 Meilen nicht asphaltierte Straße im Nichts. Eigentlich ein Tunnel zwischen saftigen grünen Buschbaumstrauchwänden. Man weiß nicht recht, ob die grünen Wände tropfen? Oder ist es doch Sprühregen? Es geht schnurgeradeaus. Wird nur einmal fast aufregend, denn da kommt eine Kurve. Sonst nichts. Grüne Wand rechts. Grüne Wand links. Wenn mal eine winzige Öffnung kommt, dann ist da Swamp. Auf einmal kommt ein Haus. Wo Menschen leben. Sogar Spielzeug liegt im Vorgarten. Und ein leuchtend rotes Schild am Zaun warnt: “Don’t feed the Rednecks.” Das hat ja schon wieder was. Die Leute sind bestimmt doch irgendwie nett (wer zur Selbstironie fähig ist, kann kein ganz schlechter Mensch sein) und wir erwägen kurz, ihnen die Leftovers unseres Havanna-Frühstücks anzubieten. Ach nö. Ein paar Meilen weiter das übliche Hinterwäldler-Schild “Private Property – Trespassers will be shot” und wir sind wieder beruhigt. Doch ganz normale Rednecks. Wir kontemplieren für ein Weilchen über die Orte in der Welt, an denen WIR nicht leben wollen (dieser gehört dazu) und dann wird die Dirt Road zur Asphaltstraße und wir sind in einem vollkommen verdreckten Mustang auf dem Weg zu den Florida Keys.
Von dort gibt es nur zu berichten, daß wir in Isla Morade unter breezy Palms im Breezy Palms wohnen, faulenzen, lesen, schwimmen, sonnen und uns ähnlich schnell bewegen wie unsere neuen Leguan-Freunde. Also gaaaanz langsam.
Morgen gehts heim. Echt? Wir sind doch gerade erst angekommen…