Der Black Friday (der Tag nach Thanksgiving) ist hier traditionell der erste Tag der Christmas Shopping Season und der Kaufwahn wird nur noch am 23. und der 24. Dezember* getoppt, wenn alle ihren End of Shopping-Endspurt einlegen, weil doch am 25. tatsächlich alle Läden geschlossen sind. (Heute beim Einkaufen gehört, wie sich die eine Dame bei der anderen beklagt, daß sie gar nicht wisse, was sie am 1. Weihnachtsfeiertag unternehmen solle: “Everything is closed!” Die Freundin darauf: “Well, there’s always TV. Or Netflix.” Sie dauern mich schon, die Armen, ein ganzer Tag ohne Shopping. Zum Glück gibt’s Fernsehen und – kleiner Tipp von mir – das Internet hat immer auf.)
Es ist aber auch ein Dilemma. Die USA geben zwar vor, Kirche und Staat streng zu trennen, aber soweit, daß Weihnachten nicht der wichtigste Feiertag des Jahres ist, also, soweit geht’s dann aber doch nicht. Wirklich nicht! Da sei Gott vor! (Ich würde zu gerne einmal sehen, welcher Aufschrei durch dieses Land ginge, wenn ein Politiker es wagen würde, seinen Amtseid auf die “Entstehung der Arten” abzulegen.)
Als ob der gemeine Amerikaner nicht schon genug Hektik hättte mit Geschenke kaufen, Karten und Bragging Letters** schreiben, personalisierte Briefmarken entwerfen und sich den Kopf über Dekoration und dazu passende Mahlzeiten zu zerbrechen, nein, er steckt auch ständig in einem ethischen Konflikt: Xmas ist monstermegawichtig, political correctness aber ein ebenso fester Bestandteil der amerikanischen DNA. Der freundliche Wunsch “Merry Christmas” ist daher zum NoGo geworden, denn womöglich diskriminiert man damit den Bewünschten, weil er Hindu ist oder Satanist oder Agnostiker oder man weiß es nicht. In den letzten Jahren sind die meisten auf das unverfängliche “Happy Holidays”**** ausgewichen, das erschlägt Weihnachten, Hanukkah, Kwanzaa etc. gleichermaßen und kann beim bösesten Willen nicht als “offensive” (beleidigend) verstanden werden.
Mich hat heute früh nach ein paar Tagen Dauerregen die Sonne geweckt und milde gestimmt. Milde genug, um Milch und frisches Brot kaufen zu gehen und Reibekäse, weil ich übermorgen zum Potluck***** im Büro Käsespätzle versprochen habe. Glück gehabt. Bei Trader Joe’s war’s ungefähr so voll wie an einem normalen “busy day”, sie hatten jede Menge Zusatzpersonal eingestellt, das zwar ein bißchen anstrengend fröhlich, aber auch sehr schnell und hilfsbereit war und ich hatte meine Einkäufe binnen 25 Minuten besorgt, bezahlt und war mit “Merry Christmas” verabschiedet worden.******. Anschließend Frühstück bei Sonnenschein auf der Terasse. Der Seepegel im Garten ist schon deutlich gesunken. Danke, Pumpi.
* Der 24. Dezember, “Christmas Eve”, ist ein ganz normaler Werktag. Bescherung ist morgen früh, wenn Santa Claus mit seinem Rentierschlitten nachts die Geschenke durch den Kamin abgeworfen haben wird.
** Meine greise Nachbarin Lyn hat mir schon vor drei Wochen eine Weihnachtskarte in den Briefkasten geworfen und mir gestern erzählt, daß sie früher ganze Abende mit Kartenschreiben verbracht habe. Macht sie nicht mehr, “all those guys are dead now.”
** “Bragging Letters” (to brag = angeben) nennt man die Briefe, in denen Eltern mit ihren Blagen prahlen. Wie unser Kevin-Rüdiger nicht wie immer nur Klassenbester, sondern auch Quarterback, Schwarzer Gürtel-Träger und baumigster Baum im Krippenspiel geworden ist (und dabei ist er erst sechs) und unsere Tallulah-Belle im dritten Jahr in Folge den ersten Preis beim “Toddlers & Tiaras”-Wettbewerb*** abgesahnt hat (besteht da ein etymologischer Zusammenhang mit “Sahneschnitte”?) und nebenher bei MENSA aufgenommen wurde.
*** Gibt’s nicht? Oh, doch: http://bit.ly/Pjk1x1
**** Damit’s auch bestimmt keiner falsch macht, werden gar keine anderen Glückwunschkarten mehr verkauft. Außer dieser einen, die mochte ich sehr gerne:
Gerade noch reichtzeitig gesehen, sonst hätte ich womöglich zur selbstausgedachten Variante: Happy Whatever-does-not-offend-you-Day! greifen müssen.
***** s. http://bit.ly/Thf4Xr
****** Erlebt, wie ein Paar den Gruß entrüstet zurückwies: “We don’t do Christmas. It’s just a paid day off.”
