Wandering Star

“Eine gute Stunde. Anderthalb max. Länger brauchst du von hier auf keinen Fall…” sprach mein Chef gestern, bevor ich mich für heute wg. Meeting hinter Frankfurt abmelde. Also plane ich sicherheitshalber zwei Stunden ein (geht nix über Puffer) und breche früh auf. Es herrscht: Tiefnebel. Vielmehr Obenuntenvornehintenüberallundrundherumnebel. Gelgentlich zwinkern Warnschilder durch die Trübnis. Darauf steht “Nebel”. Echt? Für wie blöd halten die hier die Leute eigentlich? Kaum zweieinhalb Stunden später, nachdem ich mich durch dickste Staus und verklumpte Straßen gekämpft habe und sehr viel Zeit darauf verbracht, zu grübeln, wie der Grenzfluss zwischen Rheinland Pfalz und Hessen* wohl heißen mag, verkündet das Navi triumphierend, das Ziel sei erreicht. Woraus ich eines folgere: Chefe ist die Strecke noch nie gefahren, wenn Hessens Busfahrer streiken und die gesamten Großräume Frankfurt, Offenbach und wie sie sonst noch heißen mögen, kollektiv aufs Auto umsteigen. Herrje!

Jede/r bei dem Unternehmen, das ich besuche, hat heute seine persönliche Staugeschichte. Pars pro toto erzähle ich die von der Früher-Friseuse-dann-Arzthelferin-und-heute-stolze-Vorbereitende-Buchhaltungs-Fachkraft weiter, die “sonz imma zwölf Minudde iwwer die Felder braucht, awwa heit a Dreiviertelschtund”. Außerdem gießt sie “Heilkerzen”, aber das Thema wollte ich dann doch nicht vertiefen. Ich war ja zum Arbeiten da.

Wir haben uns beeilt und ordentlich was weggeschafft, damit ich vor 15:00 Uhr wieder auf die Straße komme, denn danach “werd’s in Frankford griminell”. War’s leider auch um diese Zeit schon. Stop and go. Mit einem unverhältnismäßig hohen Anteil Stop. Ich hatte auch dieses Mal wieder einen Kleinwagen bestellt und bin ausnahmsweise um das übliche Upgrade auf ein Modell Panzer-SUV herumgekommen. Ein Zweitürer (sowas gibts noch). In Metallic-Froschgrün, nicht, dass das was zur Sache täte. Wahrscheinlich, haben die sich beim Autoverleih gedacht, soll sie (also ich) mal merken, wie sich das anfühlt, in einem Winzling ohne Knautschzone. Im schlimmsten Frankfurter Stau war ich der metallic-froschgrüne Belag in einem Sandwich zwischen Abruptbremser-Tanklaster vorne und Ausroller-Gemüt mit Hänger hinten. Das ist nicht schön. Die einzige teuer bezahlte Sonderausstattung des Frosches: ein Navi. Radio hätte wahrscheinlich extra gekostet. Kein Wunder, dass frau bei derartig langen Fahrten ohne jede Ablenkung ins Spintisieren kommt.

Der Verkehr quält sich unter Brücken und an dicken Betonwällen vorbei und auf jeder freien Fläche hat einer in dicken konturierten Blockbuchstaben gesprayed: “KARIES”, “REUE”. Auch mal in anderer Reihenfolge. Oder gleich mehrfach. Ich sehe vor meinem geistigen Auge das vom Graffiti-Künstler finanzierte neue blütenweiße Ferienhaus seines Dentisten in einer grünen Hügellandschaft mit blühenden Bougainvilleen an den sonnenerhitzten Mauern… Waa? Ja klar konzentriere ich mich auf den Verkehr, ey. Kurz danach ist überall zu lesen “1905”. Ehrt der Sprayer das Geburtsjahr meiner Oma? Die Gründung seines Karnevalsvereins? Irgendwas mit Fußball? Man weiß es nicht. Und was hat der da vor mir eigentlich auf seiner Heckscheibe stehen? Die Buchstaben sind so kunstvoll gestaltet, dass die Lesbarkeit beeinträchtigt ist. Ich übe mich in Deduktion: LLaver? Nah, eher nicht. Slaver, vielleicht? Aber trägt man das tatsächlich als Bekenntnis auf dem Auto? Ah! Jetzt, wo ich es laut sage, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Slayer. Natürlich. Und das trägt man auf dem Auto. Ohne, dass es peinlich ist.

Später. Immer noch auf der Autobahn. Der LKW, der schon seit einer halben Stunde vor mir steht, teilt mit, die Bildle auf seinem Heck habe ein stolzer Truck Stylist gemalt. Stelle mir vor, wie der Bub, lange Haare, Tattoos, Lederjacke, speckige Jeans, Cowboystiefel mit dem Berufswunsch heim zur Mama kommt und sie letztendlich damit weichkocht, dass Truck Stylist einfach cool klingt und allemal besser als Lastwagenanmaler.

Drei Stunden später will nur eine ganz kleine Kolonne mit mir die Auffahrt auf “meine” A61 nehmen. Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h fühlt sich an wie wilde verwegene Raserei. Darum hört sich das auch gleich wieder ein. Erst kommt “meine” 10km-Baustelle mit den unmotiviert aufblendenen “STAU”-Schildern, als nächstes “meine” Brückenschäden und schließlich sind es nur noch 20 km bis zu Dörth-Ausfahrt. Nr. 42. Geschlagene dreieinhalb Stunden für 140km. Das hätte ich mit dem Zug von Emmelshausen aus auch gebraucht. Allerdings wäre die Strecke nicht an einem Tag hin und zurück zu schaffen gewesen. Mon Dieu. Wie war das mit den Flugtaxis?

Merke: Ich bin ein großer Fan von Sommersonnenspritztouren, Badesee, Biergarten, auf einer Decke auf einer Wiese in den bestirnten Nachthimmel träumen – aber sowas wie heute brauche ich so schnell nicht wieder. Am Freitag dann…

* Wenn ich mit mir gewettet hätte, hätte ich gewonnen: es ist Vater Rhein.

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