Vorrede: Da macht sich nun ein Apologet der reinen Lehre (Joachim Lang) daran, die Geschichte des Brecht’schen Dreigroschenfilms zu verfilmen und man will ihm unterstellen, dass er es bestimmt gut gemeint hat. Man weiß aber auch, was in solchen Fällen rauskommt. (Es verhält sich im übrigen bei Brecht ähnlich wie beim Fußball. So wie dort jeder Zuschauer mindestens Nationaltrainer ist, weiß hier jeder, wie Brecht “richtig” geht und hat sein eigenes Bild, wie, noch dazu die Dreigroschenoper, korrekt zu inszenieren sei und eine jegliche Figur darzustellen ist.)
Was ist denn nun herausgekommen? Ein Film über einen Film auf Basis eines Theaterstücks. Mit Musik und Tanz und V-Effekt. Und da geht es doch schon los, Mensch. (Man stelle sich den folgenden Satz im Reich-Ranicki-Knarz gebellt vor:) “‘V-Effekt’, wenn ich das schon heere! Das heißt Verfrrämdungseffekt und hätte schon von Brecht viel sparrsammer eingesetzt werden mießen. So geht das gar nicht.” Da hat er eben leider recht, der alte Literaturpapst – so wie in diesem Film mit V-Effekten als lustige hippe Gimmicks gehts nicht.
Der Lang-Film mäandert in einer opulenten Ausstattungsorgie herum zwischen einem Tanz-auf-dem-Vulkan-Babylon-Berlin, in dem eine Helene Weigl (Meike Droste) voll revolutionär ein Ofenrohr rot (!) anmalert und einem Schöner-Wohnen-im-Elend-Chez-Les-Misérables-London mit angeschlossenem Schwanensee, für das sich Charles Dickens zurecht in Grund und Themse geschämt hätte. In ersterem wird – für alle überraschend – die Bühneninszenierung der Dreigroschenoper zum großen Erfolg, letzteres ist das Filmset für den Brecht-Film, der wegen des großen Theatererfolges in Auftrag gegeben wird.
Brecht (Lars Eidinger) redet wie gedruckt. Das ist kein Wunder, denn alles, was die Figur sagt, ist wörtlich aus Brechts Texten übernommen. Aus geschriebenen Texten, wohlgemerkt. In ganz wenigen einzelnen Ausnahmefällen klingt das nach Dialog. Meist aber nach Lesung zu Stichworten und muß sowohl für Eidinger, als auch für die Schauspielkollegen eine Tortur gewesen sein. Dabei möchte man ihn ständig bitten, er möge doch endlich die dicke Zigarre aus dem Mund nehmen – der saugt an diesen Dingern mit einer Inbrunst, als sei er Gründungsmitglied des Männerbündnisses “Zigarren für Freud”. Lang hat sich da einen Männerfilm zusammenphantasiert, in dem Brecht eine Art intellektueller Godfather sein darf, ein Superheld des Wortes, der geistreiche Bonmots absondert (alles aufgeschrieben, s.o.) wie andere Leute dummes Geschwätz. Und eine ganze Girlgroup an sich gestandener Frauen (Weigel, Neher, Hauptmann) klebt ihm bewundernd und kritiklos an den Lippen. Die Frau im Publikum muß sich darüber sehr aufregen.
Die Crux bei dieser Vorgehensweise ist, dass man natürlich damit auch nur Brechts Perspektive zu zeigen kann, der mal wieder nichts dafür kann. ER hat das perfekte zum Medium Film passende Drehbuch unter Berücksichtigung der sich zuspitzenden politischen und wirtschaftlichen Lage in Deutschland geschrieben, die Produktionsfirma war nur zu feige, diese Version zu verfilmen. Sehr bezeichnend sind die (gelungenen) Szenen aus dem Gerichtssaal, wo er den gegen die Produktionsfirma angestrengten Prozeß verliert, unter anderem, weil man ihm nachweisen kann, dass er heftig und ohne Nennung von Quellen plagiiert* hat. (Kurt Weill (Robert Stadlober, etwas zu unscheinbar) gewinnt seinen Prozeß.)
In diese Handlung bettet Lang Szenen aus dem Dreigroschenfilm, so, wie ihn sein Brecht gedreht hätte. (Meiner nicht, der hätte spätestens bei der ersten schrecklichen Ballettzene auf den Boden gespuckt und bei der zweiten wem ins Gesicht.)
Langs Mackie Messer spielt Tobias Moretti. Ein Mann ohne Hund. Moretti gibt den Emporkömmling nicht schlecht, angesichts seiner kriminellen Karriere allerdings fast schon ein bißchen zu bürgerlich, kann man aber insgesamt lassen. Hannah Herzsprung (Polly / Carola Neher) ist eine junge Naive wie aus dem Bilderbuch und deswegen ein bißchen fad geraten, die Eltern Peachum hingegen sind gut besetzt. Joachim Król hat mich überrascht, Claudia Michelsen versprüht glaubhaft Gift und ihre Bettlerausstattungsmanufaktur ist sehr erfreulich gut. Britta Hammelsteins Jenny hat Lang risikolos sehr eng an Lotte Lenya (“Original”-Seeräuberjenny) angelegt, Christian Redls Tiger Brown hingegen ist eine ganz entsetzliche Knallcharge in einer grausigen Phantasieuniform. Vollkommen verschenkt ist der sehr geschätzte Max Raabe als Moritatensänger, der noch nicht einmal in die Nähe des großen Ernst Busch kommt.
Bei den Dreharbeiten durchbricht Brecht öfter mal die Vierte Wand (“V-Effekt”, uiuiui) beziehungsweise erklärt dem Produzenten Seymour Nebenzahl (Godehard Giese) die aktuelle Szene: “Am Ruder: sie” (Polly und Mackie wechseln im Boot die Plätze) “Ein oder zwei Monde genügen” und so kommt es dann zu Unsäglichkeiten wie zwei Vollmonden über Soho und einem Rudel tanzender Ballettmäuschen in weißen Tutus auf den Docks. Warum überhaupt je getanzt wird, habe ich eh nicht verstanden. Es ist schon schwierig genug, wenn einer auf einmal lossingt, und die anderen beteiligten Schauspieler so tun müssen, als sei das normal. (S. hierzu meine sehr regelmäßigen Ausführungen zum Musiktheater an sich.)
Der Film hat Überlänge und man fragt sich beim Zuschauen schon manchmal, ob man bis zum Ende durchhalten will oder lieber noch ein bißchen Herbstsonne tanken. Hält man durch, dann wird man mit einer wirklich großartigen Szene belohnt, nämlich der filmischen Umsetzung von “Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?”, wo eine große Menge protestierender zerlumpter, schmutziger, hungriger Proleten nach und nach zu Bankern morpht, die in Anzug und Krawatte marschieren. Das habe ich noch nie so gut gesehen.
Trotzdem ist der Film vor allem gut gemeint und nicht gut gelungen. Lieber Herbstlaub rascheln.
* s. hierzu die sehr hübsche Parodie von Erich Kästner aus dem Jahre 1930
Surabaya Jonny II
frei nach Kippling und Brecht
Du kamst aus den Wäldern bei Pirna
Du sagtest nicht Frau, sondern Weib
Du warst tätowiert wie ein Seemann
Du hattest nichts Warmes im Leib
Du sagtest, du wärst viel auf Reisen
Und du führst zu Schiff über Land
Und du hättest Muskeln aus Eisen
Und auch sonst hättest du allerhand
Das war gemein, Johnny
Ich fiel drauf ‘rein, Johnny
Du hast gelogen, Johnny, du bist nicht echt
Du bist nicht gereist, Johnny
Du bist nicht von Kipling, Johnny
Nimm die Pfeife raus. Du bist von Brecht
Surabaya-Johnny
Surabaya-Johnny
Kalkutta, Schanghai, Montreux
Johnny, sunny Johnny
Mein Gott, my god, mon dieu!
Du konntest vor Kraft nicht laufen
Du hattest den größten Mund
Du wolltest mich preiswert verkaufen
In Dollars und nach Pfund
Du schwärmtest von fernen Bordellen
Mit Huren und Kunden und Gin
Dort gäbe es offene Stellen
Und da gehöre ich hin
Weil du es wolltest, Johnny
Sagte ich ja, Johnny
Ich war so sinnlich, Johnny, mir war es recht
Doch die Bordelle, Johnny
Warn frei erfunden, Johnny
Du hast gelogen – wart, ich sag’ es Brecht!
Surabaya-Johnny
Surabaya-Johnny
Ach, deine Kolonien
Johnny, sunny Johnny
Die lagen bei Berlin!
Du sagtest, du wärst ein Verbrecher
Und hättest die Konzession
Als vereidigter Messerstecher
Ich glaubte dir jeden Ton
Du versprachst mir, mich zu ermorden
Du stachst mich schon in die Haut
Es ist nichts draus geworden
Du hast dich nicht getraut
Du renommiertest, Johnny
So oft du sprachst, Johnny
Nur mit dem Maul, Johnny, da warst du schlecht
Du warst nicht englisch, Johnny
Du warst nicht indisch, Johnny
Kauft Kolonialwaren bei Bertolt Brecht!
Surabaya-Johnny
Surabaya-Johnny
Villon, Kipling, Rimbaud
Furniert auf Mahagonny
Furniert auf Mahagonny
Du bist der geborene ‘und Co.’!