Vui z’vui G’fui

Es fragt in den Stuhlkreis hinein: “Was macht der Regen mit Ihnen? Wo in Ihrem Körper fühlen Sie das?”

Die Teilnehmerinnen (7 Frauen, 1 Mann) sind “betroffen”, “traurig”, “enttäuscht”, “frustriert” oder sie freuen sich wie ein Tofuschnitzel, dass sie “erleben dürfen, wie die Natur ein Geschenk bekommt”; nur eine scheint renitent zu sein und antwortet kurz und knapp, dass sie nass werde, wenn Regen auf sie fällt. Und zwar da, wo sie nicht von Kleidung bedeckt sei. Hmmm.

Dann händigt die Sozpädpsychotante ein Büchlein aus, “1000 Glücksmomente”, bei dem die StuhlkreiserInnen zulassen sollen, dass es sich einfach irgendwo aufschlägt und dann die Zeile, die sie selbst am glücklichsten macht, mit den anderen teilen, damit “die Herzfenster weit werden”; die Wahl fällt auf Dinge wie “strahlend blaue Kinderaugen”, “ein Sonnenaufgang”, “der Duft von Weihnachten”. Dazu teilt eine Dame mit Erfahrung in dieser Art Sprech unaugefordert mit, dass das für sie jetzt “nach so echt ‘ner beschissenen Zeit mit OP und so ‘n Stück weit voll positiv” sei. Die Doppelnamen-Psychologin freut sich einen Ast, die eher renitente Teilnehmerin empfindet Brechreiz, teilt sich aber nicht mit. Hmmm. Hmmm. Hmmm.

Nun kommen wir zum ersten “Achtsamkeitsmoment”. Hierfür müssen alle die Augen schließen und “ihrem Körper erlauben, der Alltagsspannung zu entsagen, aber (hihi) nicht gleich vom Stuhl fallen, gell?” Dieser Sparwitz bekommt tatsächlich Lacher, außer von der renitenten Dame, die zieht eine Augenbraue hoch und denkt sich “Uiuiuiuiuiui”. Wenn endlich alle zufriedenstellend entspannt auf ihren Stühlen hängen und “die Gedanken baumeln lassen”* schleicht Frau Dr. Psycho hinten vorbei und legt “kleine Nichtse” auf ausgewählten Schultern ab. Wer seins spürt hat gewonnen und darf gehen… Nix da. Von wegen. Wer seins spürt ist schon mal noch nicht ganz verloren für das Universum der Achtsamkeit und darf auch bei der nächsten Übung wieder mitmachen. Wer nix spürt, muss auch.

Jetzt bekommen alle Papier und Stift und sollen aufschreiben, welche “fünf Dinge heute gut, erfreulich, herzerwärmend, bereichernd… waren” und “wer mag, darf seine Erfahrung mit der Gruppe teilen”. Es wird reihum abgefragt, wer nicht mag, muss auch und die Psychopathin strahlt bei jeder Antwort und nickt dazu wie ein Wackeldackel. Die renitente Dame wünscht, ihrem Brechreiz nunmehr zügig nachzugeben, hält aber an sich, weil sie eine Chronistinnenpflicht hat und nie mehr wieder an dergleichen blogpost-Material kommen wird. Nie mehr. Nie nie mehr!

Halt, wie war das? Worum gehts gerade? Ah, die Frau drei Plätze weiter ist dankbar, weil sie schon wieder ohne Krücken gehen kann (sie drückt sich selbstverständlich politically correct aus und sagt “Gehhilfen”). Der Wackeldackel sagt, dass Dankbarkeit erst später drankommt, nickt aber trotzdem auf und ab und auf und ab und bestärkt positiv: “Ah, ohne Krücken gehen, das ist doch für Sie, wie wenn Jesus durchs Wasser läuft”. Bidde? Die nach oben gezogene Augenbraue der Chronistin droht da oben festzufrieren.

Als nächstes richten wir unsere Achtsamkeit auf “5 Dinge, die heute schlecht, doof, völlig, überflüssig, ärgerlich…** waren”. Die Aufzählungspünktchen sind Teil des Zitats, die Sozpädpsychotante übt sich verbal darin, noch viel mehr Synonyme zu finden (“blöd, häßlich, unangenehm” usw. usf.), damit auch jede versteht, was gemeint ist und betont, dass man diese Gefühle nicht etwa wieder erleben, sondern “hervorrufen, um loszulassen” solle. Hei, da fliegen die Stifte übers Papier, mir scheint, die sind vorwiegend zum Beschwerde führen hierher gekommen. Ms. Einfühlsam bricht die Schreibübung ab und fordert zur Verlesung auf und jede möchte die erste sein. Ich lehne mich dann mal bequem zurück und höre zu, wie das Wetter allen zu schaffen macht und gedenke meiner greisen San Brunoaner Nachbarin Lyn, die seinerzeit schon sehr weise bemerkte, dass dies das Thema sei, an dem keiner was ändern könne und das dennoch am häufigsten Gegenstand einer Unterhaltung sei (“God bless the Brits!”). Und dann dies, das und dass der Orangensaft beim Frühstück schon leer war und nie genug Vollkornsemmeln da sind und dann beklagt sich eine Dame über einen Kellner, der so rüde gewesen sei. Aber sie habe einen Lernschritt gemacht. “Ich habe den Ober mal positiv genommen” und da strahlt und wackeldackelt die Frau Achtsamkeit: “Und das hat Ihnen gewiß Sonnenstrahlen in den Bauch gegeben”. Das sind wörtliche Zitate und ich bitte meine geneigte Leserschaft, sich mein Leiden vorzustellen: Ich habe mir die Lippen blutig gebissen, um meine Mundwinkel unten und mein loses Maul in Zaum zu halten. Wie bitte nimmt man einen Kellner positiv? Geht das auch negativ? Oder neutral? Oder mit anderen Berufsgruppen und wenn ja, wie? Solche Bilder krieg ich doch nie mehr aus dem Kopf! Höret der Schwachsinn je wieder auf?

Noch nicht. Nun gilt es, 2 Dinge zu notieren “für die ich dankbar bin”. “Oder mehr, wenn es mehr gibt. Zapfen Sie Ihre Ressourcen an, öffnen Sie Ihr Herz und [Kunstpause] Ihren Bauch.” Halt a mal! Bin ich vielleicht Chirurg? Nix da! “Geben Sie sich die Freude, Ihren Atem fließen zu fühlen. Was wollen Sie mit der Gruppe teilen und wo in Ihrem Körper fühlen Sie das?”** Ich für meinen Teil will hier nur noch raus und herausfinden, wer mir sowas auf den Therapieplan schreibt und warum. Erfreulicherweise sind die anderen sehr mitteilsam mit allem, wofür sie dankbar sind und was sie “erfahren haben dürfen”, doch “leider, leider ist unsere Zeit schon fast vorbei”. Ich angle so fix wie noch nie nach meinen Krücken, aber halt. Einen hat sie noch. “Sitzen in der Stille.”

Ja, aber. Wäre es nicht besser, wenn ich dazu auf mein Zimmer gehe und nicht umgezingelt von EsoterikerInnen in einem kleinen Raum mit verbrauchter Luft im Souterrain…? No way! Sitzenbleiben und “spürend in Beziehung kommen nach oben, zum Himmel. Sich der Anziehung der Sonne überlassen.” Nochmal: wäre es nicht besser, wenn ich dazu auf mein Zimmer gehe? Liegt im Dachgeschoß, ist gut gelüftet und ruhig. Nein, gildet nicht. Wir sitzen für geschlagene und genau gestoppte fünf Minuten schweigend rum und mir kommt vor, dass das bißchen Restsauerstoff im Raum bereits nach drei Minuten tiefen gemeinsamen Atmens auf einem kritischen Level angekommen ist.

Herr im Himmel! Wer hat mir das eingebrockt?*** Und weiß die Rentenversicherung, dass sie für sowas bezahlt? Dann doch lieber noch zwei Stunden in der Beinpresse. Ehrlich!

 

* Wenn ich was noch mehr hasse als solchene Unterweisungen in Achtsamkeit, dann sind es falsche Tucholsky-Zitate! Hrrrgnn!

** Falls mal jemand in eine vergleichbare Situation geraten sollte: “Solarplexus” ist immer eine gute Antwort und meistens richtig.

*** Nachtrag
Ich habe inzwischen erfahren: Das ist die Rache der Hauspsychologin an Overachievers. Wer zu schnell seine physischen Therapieziele erreicht, muss eine Macke (= emotionales Defizit) haben. WTF?

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