Duit is

Durch die Lobby schnüren Männer mit grad einem Tick zu langen Haaren, in grad einem Tick zu tief dekolletierten Leinenhemden und grad einem Tick zu engen Lederhosen (gerne seitlich kreuzgeschnürt), an deren Hälsen geschliffene Tierzähne an Lederschnüren baumeln. Die weiblichen Pendants (“Pendantes”?) tragen entweder viel buntes gewickelt-geworfen-geschlungenes Tuch oder allerliebste Kombinationen im Marketenderinnenschick (enges Lederschnürmieder mit Knappstdirndlbluse, Wallerock mit feierrote Spitzenunterröck, Netzstrümpfe, Stieferl) oder sind in der Variante Landfrau auf Minga (“Host du dein Lodenjanker ei’g’steckt, Marianne?”) vertreten. Diese letzte Gruppe wird in im allgemeinen von einem Mann in Tracht begleitet und die beiden vertreiben mit seelenvollen Blicken und salbungsvollen Worten Seifen (“Schafsmilch-Schneerose”), Cremes und Nahrungsergänzungsmittel, die bei Gelenkkrankheiten Wunder wirken sowie Segenssprüche (gedruckt, gestickt, geklöppelt), Heiligenbildchen, Rauchwerk, Buddha-Statuen, Münzschnürgebimsel an roten Bändern, außerdem Elchfett und Drachenklauen.

Die Lederbuam und -madln sind mehr so fürs Windige zuständig. Ah, Tschuldigung, Vintage hoaßt des heitzumtog. Also alte oder auf alt gemachte Lederjacken, Weißstickereien von der Oma aus China, Gürtel, Arm- und Hals- oder gleich Kropfbänder, Bondage-Bedarf; die Grenzen zwischen Tracht und Fetisch verlaufen fließend.

Am nächsten Stand gibt es unter dem Motto “Schaf ist Leben” erst mal bunt. Gestrickt, gewirkt, gefilzt, Zipfel, Bommel, Kämme, Flappen, Klappen, Schnürl, Zöpferl, Schellen – und das sind nur die Kappen und beileibe nicht alle Styles… Und dann gibt es noch Mützeschalhandschuh, Socken, Westen, Leibjacken und alles für den Lodenfreund und alles in allen Farben und man möchte die Geschmackspolizei rufen; oh Heilige Nina, hilf! Es dauert eine Weile, bis man die Verkäuferin ausmacht und sie fällt eigentlich nur auf, weil irgendwann ein – zugegebenermaßen etwas voluminöseres – Buntwollknäuel spricht. Perfekte Camouflage:  Einen besseren Schutz gegen Standldiebstahl kann’s gar nicht geben.

Selbstverständlich gibts Schmuck. Häßliche lange Halsketten mit viel zu großen Buntklumpen, dafür mit der Ausrede, dass diesem oder jenem Stein heilende Kräfte zugeschrieben werden, und auch alles wieder in Klumpatschknallbunt – ich bin sehr versucht denen zu sagen, dass hier keine Augenleiden behandelt werden (und selbst dann wären diese Monstrositäten nicht entschuldbar), aber ich fürchte, meine mahnende Vernunftstimme ginge in dem Trubel eh unter. Die zuständige Verkaufskraft, passend zum ebensolchen hypertonischen Teint im leuchtendfuchsia Wollzeugs-Dirndl-Hybrid, in ca. einem halben Dutzend Tücher eingeschlagen und behängt wie ein Christbaum, den das Bauhaus als Negativbeispiel hergenommen hätte, versucht gerade einer Patientin ein ganz schlimmes Armband mit dem Argument aufzuschwatzen, dass die Schwiegertochter oder das Enkerl doch sicher lieber was Bleibendes anstatt Blumen als Mitbringsel hätte und hört hartnäckig nicht hin, als das Wort “kinderlos” fällt.

Überhaupt: irgendeinen Heilschmuck führt jeder hier. Ob Kupferarmband oder Weißichwas-Ohrstecker (auch als Piercing erhältlich), ob Ketterl, Andersgeklimperl oder “wos für’n Goidbeutl” – alles häßlich, alles teuer, aber dafür wahnsinnig gesund.

Ein kleiner Stand versucht sich außerdem am Verkauf von Grußkarten, mit gepreßten Alpenblümchen oder fußgemalten Scheußlichkeiten; manche Motive sind auch direkt aus Filz mundgebissen und mit (natürlich heilsamer) Biberspucke aufs handgeschöpfte (Heil-)Papyrus gebeppt. Auch hier gilt: alles häßlich, alles teuer, aber dafür wahnsinnig gesund.

Es ist halt so: Wenn der Hinkekunde nicht zum Shop kommt, dann kommt der Shop eben zum Krüppel, quasi das Konzept Retail Therapy modifiziert in der Voralpenlandversion. Ich kenne sowas bisher eigentlich nur aus Hotels im Orient, die den Gästen, die die All-Inclusive-Anlage nicht für eine Minute verlassen würden, den “Original”-Basar abzüglich Schmuddel, Fliegen und Stink auf dem Hotelgelände präsentieren, mit ordentlichen Größenangaben und Preisschildchen und zuvorkommenden, unaufdringlichen Basaris; oiso ganz wia im richtigen Lebn.

Hier wie dort habe nicht vor, mehr als drei Minuten Lebenszeit für den Schrott aufzuwenden. Zum Material sammeln für einen blogpost muss das reichen und dann gilt: Chiemsee sticht Tollwood light.

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