Anders

Wenn man nach so langer Zeit in der Fremde wieder mal für einen vom –> American Consulate General verlängerten Aufenthalt sein Heimatland besucht, dann fällt einem schon auf, wie anders alles ist. Es mag daran liegen, daß ich’s inzwischen aus der amerikanischen Perspektive betrachte.

–> Auswärts Essen: Deutsche Restaurationsbetriebe trauen ihren Gästen zu, selbständig einen Tisch zu finden und zu entscheiden, wann der Servierkraft Geld zu geben sei; möglicherweise sogar nach längerem Rumsitzen ohne beständiges Heischen nach Nachbestellungen. Wenn dann der Gast vom Nebentisch mit einem großzügigen “Stimmt so” um ein Zehnerl auf den nächsten runden Betrag erhöht, kann man die Damen und Herren Bedienpersonal für ihre Contenance nur bewundern – ICH wäre dem Typen ins Gesicht gesprungen. Außerdem gibt es lauter gute Sachen, wie Schnitzel mit diversen Kartoffelvarianten (und nicht irgendwelche wilden Spätzlekreationen, die Amerikaner für typisch deutsch halten) und Schwammerl in Rahmsoß und Knödel und Brezn satt. Auf jedem Draußen-Tisch stehen Aschenbecher – das hat einen herrlichen Entpariasierungseffekt. Richtig gefehlt hat mir nur das Glas Wasser, das in den USA auf den Tisch kommt, sobald man sich zum Essen in einem Restaurant hinsetzt und stetig nachgefüllt wird. Ein junger Kollege von mir, gerade erst von seiner ersten Europareise zurück, hat sich angelegentlich erkundigt, ob das Leitungswasser in Europa eigentlich nicht trinkbar sei, weil man nirgends welches bekomme… Es ist mir richtig schwergefallen, ihm erklären zu müssen, daß Wasser für umsonst  nicht gereicht wird, weil das den Profit der Gastronomen schmälern würde.

–> Einkaufen: An jeder Ecke gibt es Bäckereien mit frischem gutem Backwerk sowie Kaffee Togo und es gibt immer noch nichts besseres, als sich auf dem Weg zur Arbeit eine Butterbreze zu holen (wobei ich den Kaffee nach zwei Versuchen aufgegeben habe. Mag keine Latte aus Milchpulver mit einem Schuß Braunbitter in lauwarmem Wasser gelöst). Daß die Bank nebenan eine Zweistundenmittagspause einhält mag der mediterranen Nachbarschaft im Bahnhofsviertel geschuldet sein und geht noch als exotisch durch, aber Ladenschluß fühlt sich nach fünf Jahren Allzeitverfügbarkeit wirklich fremd an. Ebenso, wenn auf die Frage “Nehmen Sie Kreditkarten?” mit Glück vom Ladenschwengel irgendwo ein Lesegerät herausgekramt und am Kabel Richtung Kundin gezogen wird, mit Mittelpech die Antwort lautet: “Ja, mit Geheimzahl” (dann ist das keine Kreditkarte, Herrschaften!) und mit Richtigpech einfach aus einem eher fassungslosen “Nein!” besteht. Ist aber noch gar nichts gegen Lebensmitteleinkauf, wo die Auslaufbahnen an den Kassen ins Lächerliche geschrumpft sind und der lästige Kunde doch bitte gleichzeitig wegpacken, bezahlen, Wechselgeld verstauen und verschwinden soll. Da lob ich mir das amerikanische Prinzip, wonach Grocery Shopping erst als abgeschlosssen gilt, wenn alle Einkäufe von Einpackfach- oder Kassenkräften in Tüten im Einkaufswagen verstaut sind und König Kunde “Help out” kategorisch abgelehnt hat (sonst räumen sie’s einem auch noch in den Kofferraum).

–> Transportiert werden: ÖPNV existiert. In der Stadt kommt man ganz einfach flitzeflott von A nach B, und selbst, wenn einem die 27er-Tram wg. Butterbrezeneinkauf und Wechselgeldgepuschel gerade vor der Nase wegfährt, lohnt es sich nicht, sich aufzuregen, denn die nächste fährt in einigen wenigen Minuten vor. Ganz anders, wenn man im deutschen Hitzewellenhochsommer Zug fahren muß. Zum Beispiel mehrfach nach Frankfurt (s. –> American Consulate General) und wieder retour nach München. Oder zu den lieben Eltern, von der Provinz (Dorfen) in die Provinz (Hall). Das kann auch schon mal über sechs Stunden dauern, weil –> Die Bahn keine –> Klimaanlagen und in Folge keine Züge betreiben kann. Das ist in Amerika ganz anders. Die können Klimaanlagen. Und erfinden fürs Zugverspäten andere Ausreden, wie zum Beispiel “A train got lost in the South”. In Deutschland habe ich nur in Zügen oder Postfilialen erlebt, daß Klimaanlagen auf zu kalt eingestellt waren – wahrscheinlich aus lauter Freude darüber, daß sie funktionierten. Ansonsten gingen die Menschen mit der Hitze erfreulich unaufgeregt um. Sommer = heiß. Das amerikanische Handgewedel und hysterische “Is it hot in here?”-Geseufze ist zum Glück noch nicht über den Atlantik geschwappt. Wirds auch hoffentlich nie tun.

–> Hitzewelle: Diesen Sommer ist Deutschland für mich ungeschlagen und ich bin rechtzeitig vor irgendwelchen Unwettern und noch mehr ausgefallenen Zügen (s. –> Die Bahn) wieder abgereist. Hier in der Gegend können sie im Sommer vor allem Nebel. Der 8. Monat ist nicht ohne Grund in “Fogust” umgetauft worden.

–> Beauty: Obwohl an jeder Ecke “Nail-Studios”wie die Pilze aus dem Boden schießen, in denen kleine Asiatinnen mit Mundschutz an Nägeln herumfeilen, scheint die allmonatliche Mani/Pedi und bunte Finger- und/oder Zehennägel bei den meisten Frauen in Deutschland noch nicht verpflichtend zu sein. Außer sie werken bei Aldi oder Lidl an der Kasse. Aber dann! Nägel with a License to kill! Mindestens. Sowie hitzeresistentes Mehrschichten-Make-up.

–> Zu Fuß: Als Bay-Areanerin ist man gewöhnt, daß alles steht, sobald man nur mit einem sanften Zuckerer die potentielle Absicht zeigt, eine Straße möglicherweise überqueren zu wollen. In München nicht. Da besteht eher die Gefahr, von einem Kampfradler überrannt oder von einem der unglaublich vielen Bettler um eine Gabe angehauen zu werden. Letztere scheinen vor allem im Bahnhofsviertel die Straßen nach Gebrechen aufgeteilt zu haben. Fehlende Gliedmaßen: Schillerstraße. Rudelweise Schmuddelkinder: Goethestraße. Einfach nur alt: Schwanthalerstraße.

–> Wisch und weg: Ganz auffällig. Sobald wer was verschüttet, ruft mindestens eine weibliche Stimme “Ich hab Tempos dabei” und die Packerl sprießen sofort aus mehreren umliegenden Riesenhandtaschen. Könnte in den USA nie funktionieren, weil die Tissueboxes selbst für Monsterhandtaschen zu voluminös wären und das, was in Papiertaschentuchpäckchen verkauft wird, noch nicht einmal genug Saugkraft für ein damenhaftes Nieserchen hat. Die amerikanische Zellstoffindustrie hats nicht so mit Strapazierfähigkeit.

–> SALE: Als angelernter Ami hatte ich beständig mit der Versuchung zu kämpfen, mit einem Rotstift ungelenke Anglizismen ausbessern…

Nun bin ich wieder daheim und werde mich wieder vorwiegend mit amerikanischem Schwachsinn beschäftigen – davon gibts zum Glück immer noch ein bißchen mehr, als man gerade noch für möglich hält.

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