Als gelernter Neu-Nordkalifornier weiß man in seinem vierten (!) Jahr, daß es einfach blödsinnig ist, sommers ans Meer zu fahren. Wir finden das schließlich jeden Abend auf dem Heimweg bestätigt, wenn wir vor uns wieder die Irrsinnsnebelwand über die Berge hineinquellen sehen, die den Pazifik, die Berge und San Francisco sowieso verschluckt. Also am Wochenende lieber wieder Inland.
Kollege Wes hat in seiner Empfehlungskiste gekramt (genauso, wie er alles, was man gerade brauchen könnte, in seiner unergründlichen Garage liegen hat (Beispiele aus der jüngsten Zeit umfassen einen Zweitdrachen, extrastarken Sekundenkleber und ein Kamerastativ), ist er auch ein unerschöpflicher Quell für die Empfehlung von Ausflugszielen und legt immer die Ess- und Ausgehtips noch obendrauf). Nachdem wir letztes Wochenende auf den Spuren Natty Bumppos durch Wälder im Norden gestreift sind, hat er uns dieses Wochenende was eher Steiniges vorgeschlagen, nämlich die “Pinnacles” im Süden (http://1.usa.gov/8he1i2). Das “Pinnacles National Monument”* ist einer der ersten amerikanischen Nationalparks; eine sehr großartige zerklüftete Vulkanlandschaft mit Sandsteinformationen aus allen möglichen Erdzeitaltern und jetzt im Sommer glutheiß und staubtrocken – die Nadel von Smokey Bears Waldbrandrisikoanzeiger liegt im äußersten grellroten Höchstgefahrbereich. (Feuermachen und Rauchen auf den Trails ist streng verboten.)
Wir kommen am frühen Samstagnachmittag in Soledad an, einem ganz extrem trübsinnig-staubigen Wüstenstädtchen, dessen Selbstbild (“It’s Happening In Soledad” sich ganz stark von unserem Fremdbild “Hier möchte man doch noch nicht einmal seit Wochen tot über dem Zaun hängen” unterscheidet). Die Lage unseres Motels ist genauso umwerfend, wie es das Streetviewbild zeigt http://bit.ly/S7Fg5v), aber das ist eigentlich wurscht. Wir werfen nur rasch unsere Sachen ab, gehen alle nochmal aufs Klo und machen uns auf den Weg zum Westeingang des Parks. Es gibt nur eine einzige Zugangsstraße. Und die ist nicht durchgehend, sondern hört mittendrin auf. Also haben wir uns für den Samstag den Westteil vorgenommen, und nach der Nacht in Soledad für den Sonntag die Ostseite.
Das Thermometer zeigt selbst nachmittags um 4:00 Uhr noch über 90F an. Bis wir über das einspurige Sträßchen endlich an der Chaparral Ranger Station ankommen, ist es uns schon gut warm geworden. (Wohl nicht so warm wie dem Ranger im unbesetzten Gebührenhäuschen, der ist entweder umgefallen oder hatte hitzefrei…) Wir rüsten uns für unseren Hike zum Balconies Cave Trail. Wasser, Wasser, Wasser und eine Taschenlampe. Letzter Check: Mützen auf, Sonnenschutz nachlegen (dabei die Ohren nicht vergessen), Wanderstab und auf geht’s. Es fängt erstaunlich milde an, bis die Jungs anfangen, die ersten Felsen zu erklimmen und ich mich nett auf einem Stein einrichte, um Heldenbilder zu machen. Dann wird’s steiniger und hügeliger und unsere Wege trennen sich. Toni und Christoph durchklettern die Höhle (dunkler Eingang, ein weißer Pfeil nach unten, dann nur noch Schwärze) und wandern auf dem Balcony Rim Trail zurück, meiner wird ein Rückweg mit ausgedehnten Pflanzenstudien (es ist schon erstaunlich, was man alles sieht, wenn man so vor sich hinhinkt) und ausgedehntem Aufenthalt in der Picknick Area in der Nähe des Parkplatzes. Ich unterhalte mich mit einer Gruppe Kletterer aus der französischen Schweiz, die auf der Ostseite campen und heute noch zurückwollen (“das ist nicht so weit, drei Stunden vielleicht, wenn man stramm wandert”) und dann mit Heather und ihrer Mutter Linda, die hier fast jedes Wochenende sind und inzwischen jeden Baum mit Vornamen kennen. Die beiden schenken mir eine Wanderkarte und haben hilfreiche Tips für unseren Weg zum Osteingang: wir sollen auf jeden Fall die kleinen Straßen über King City nehmen, das sei viel hübscher und viel kürzer als der Weg über die Autobahn. (Ich greife vor: wir können das bestätigen. Es ist eine ausgesprochen schöne Fahrt durch Weinfelder, langsam übergehend in eine gelbe Steppen- und dann in eine harsche Berglandschaft.)
Moment. Spinn’ ich jetzt? Das ist doch Christophs Lachen? Stimmt. Die Luft ist so klar und die Landschaft so einsam, daß Geräusche unheimlich weit tragen – ich höre die Beiden schon lange, bevor ich sie sehe. Wir treffen uns am Auto, nehmen Wasser, Wasser, Wasser und unser Picknick aus dem Kofferraum und sitzen in T-Shirts beim Abendessen, während die Nacht hereinbricht, Sterne aufgehen, Grillen zirpen und im Unterholz das große Rascheln beginnt (Hasen, Eidechsen, dem Vernehmen nach auch Schlangen). Außer, daß Christoph der Orion fehlt, ist es sehr schön – ich habe selten die Milchstraße so klar gesehen.
Bis wir am Sonntag am Trailhead auf der Ostseite stehen, ist es ziemlich genau 1:00 Uhr mittags und knallheiß. Heute wandern wir den Bear Gulch Cave Trail. Es ist ein knapper Kilometer bis zum Eingang der Höhle (und 300 Fuß Höhenunterschied) – mir reicht das. Hier wartet – recht unvermittelt – Alicia, die Parkrangerin, die einen Talk über die Fauna der Höhle gibt (“I’m going to mainly talk about bats”) – das gehört zum Service des Parks, dauert 10 Minuten und neben Fledermäusen (schlechte Mütter seien sie) spricht sie über die wieder angesiedelten Kondore, die dieses Frühjahr mehr Eier gelegt hätten als je zuvor. Yay! Carry on, Condors!
Christoph und Toni zieht es weiter, denn nach der Höhle kommt noch das Bear Gulch Reservoir (endlich mal eine Wasserfläche in dieser staubig trockenen herbstheidefarbenen Landschaft). Ich bleibe und bekomme von Alicia eine private lecture über die hier heimischen bösen und heimtückischen Pflanzen (Posion Ivy, Poison Oak und den Juniperus sabina, eine giftige Wacholderart) sowie Tiere. “Rattlesnake season” ist immer dann, wenn’s heiß ist, die Tarantelzeit fängt im September an und Ticks (Zecken) habe man ganzjährig im Angebot. Bin anschließend auf meinem Rückweg bei Pflanzennahaufnahmen ein wenig zurückhaltender.
Auf dem Heimweg kommen wir durch Hollister – ich kann mir nicht vorstellen, daß die coolen Menschen, die dieses Label tragen, je dort gewesen sind. Steht für mich seit gestern auch auf die Liste von Städten, in denen wir nicht leben wollen. Gar nicht!
Danksagung (wie immer) an den Fahrer, Toni, der uns sicher hin-, rum-, num- und zurückgebracht hat.
*Was einen “National Park” vom “National Monument” unterscheidet, haben wir trotz Recherche immer noch nicht ganz genau verstanden.