Ukiah werden wir in liebevoller Erinnerung behalten: kurz nach der Autobahnabfahrt finden wir ein Motel, morgens liegt der Supermarkt für die Picknick-Einkäufe gleich ums Eck, man ist schnell wieder auf dem 101 und nun sind es nur noch knappe zwei Stunden bis Garberville.
Garberville ist eines dieser nordkalifornischen Städtchen, dessen Einwohnerschaft sich gleichermaßen aus erster und zweiter Generation Hippies und den Nachfahren von Holzfällern zusammensetzt. Erstere sehr greise, aber immer noch langhaarig in Batik-Klamotten, nicht mehr barfuß, sondern bei über 30°C Hitze strumpfsockig auf der Straße unterwegs, letztere im klassischen Kostüm ihrer Ahnen, das heißt kariertes Hemd, Jeans und Boots. Scheint eine friedliche Koexistenz zu sein: selbst im Hemp-Shop hängen Plakate für’s Father’s Day Rodeo und neben der Handleserin lockt der lokale Waffenhändler mit Glock-Sonderangeboten.
Nach Garberville teilt sich der 101: der neue ist streckenoptimiert, der alte folgt dem Lauf des Eel River mitten durch den Wald und heißt jetzt “Avenue of the Giants”. Das ist ausnahmsweise einmal keine Übertreibung: diese 31 Meilen lange “Scenic Road” im Humboldt State Park führt durch einen dichten Wald von uralten Redwoodbäumen. Redwoods scheinen gerne in Klumpen zu wachsen, vier, fünf, sechs dicht an dicht und wenn man an einem solchen Baumgrüppchen vorbeikommt (eigentlich verbieten sich in diesem Wald Diminutive), geht mal schnell das Licht aus. Klick. Klack. Schalter runter. Vorbei. Schalter hoch.
Jedes Mal, wenn wir irgendwo anhalten, sind die Bäume noch höher als vorher – auf Vergleichsphotos sehen wir einfach lächerlich zwergenklein aus. So wie hier, aufgenommen in der Williams Grove von einer netten Dame, die sich mit ihrem Gatten und dem RV (Wohnmobil) in der Picknick-Area häuslich eingerichtet hat. Tischdecke, gepolsterte Bankkisserl im gleichen Stoff und sogar Plastikbecher im passenden Farbton – wer sagt denn, daß man im Wald auf Stil verzichten muß?
Hier gibt es auch einen “River Access”, den man den im Sommer eher in “Flußbettzugang” umbenennen sollte. Nach einem langen Marsch über ein Kiesfeld aus perfekten Flitschesteinen gelangen wir zu einem recht trüben Rinnsal, das schon aufgewertet würde, wenn man es Bach nennte. “Eel River” hingegen ist einfach eine schamlose Übertreibung.
Weiter auf der Avenue. Licht aus. Licht an. Ein paar Laubbäume sind zuständig für Lichteffekte, Streulicht, Punktlicht, diffuses Glimmern. Licht aus. Licht an. Wir halten in Founders Grove, wo man die gefallenen Riesen einfach kreuz und quer herumliegen läßt. Sie wurzeln erstaunlich flach, wenn es sie aus dem Boden reißt ist die Kuhle nicht viel mehr als einen Meter tief. Aber dafür wurzeln sie breit, zwei Sabines aufeinander wären noch nicht genug, um den Durchmesser abzubilden. Zum dicksten (liegenden) Stamm hinauf führt ein Trepperl. Ich mache Heldenbilder (von Christoph). Wenigstens ebenso faszinierend sind die Chimney-Trees. Meist durch einen Blitzschlag ausgebrannt und auf ein paar Meter nach oben ausgehöhlt, wachsen sie einfach weiter. Was ist so einem Ewigkeitsbaum schon so ein lächerliches Feuerchen. Daß wir für die 0.8 Meilen “Hike” weit über eine Stunde brauchen liegt daran, daß wir ganz oft stehenbleiben, “Ah” und “Oh” sagen und viele viele Bilder machen müssen. So langsam sollten wir weiter, als nächstes wollen wir zum Big Tree Loop, den unsere Karte gleich neben dem Bull’s Creek anzeigt. Von wegen, erst kommt der Upper Bull Creek, dann der Lower Bull Creek und wenn man am Cow Creek glaubt, man wäre jetzt aber wirklich bald da, dann kommt der Calf Creek (führt zwar kein Wasser mehr, aber Creek ist Creek) und jetzt endlich “Big Trees”. Als ob sie bisher nicht schon riesig gewesen wären. Aber a bisserl was geht immer noch und deswegen stehen wir hier vor dem über 100m hohen Redwood, der 1991 die Sequoia Championship gewonnen hat (ich wußte nicht einmal, daß Bäume überhaupt Wettbewerbe austragen). Über Behelfsbrücklein (“Seasonal Bridges”) geht’s über den Fluß (pah!) und zum “Flat Iron Tree” – wieder so ein Gigant, stimmt schon, es geht immer noch ein bißchen größer. Der Nachmittag geht in den Abend über, die Schatten werden länger, sattsehen kann man sich hier nicht.
Satt? Genau, da war noch was. Wir haben Hunger. Und wir fühlen uns wie Christoph und Sabine im Salzteig. Kein Wunder. Es ist selbst jetzt noch über 30°C warm und die Wälder sind trocken und staubig. Weil wir vorsorgliche Naturen sind, wartet in Fortuna ein Zimmer auf uns und April von der Rezeption kriegt sich schier nicht mehr ein vor lauter guten Tips: gegen die Kruste helfe der Pool (zwei Schwimmzüge um planschende Kinder herum und man hat eine Beckenlänge geschafft) und gegen Hunger und Durst die Eel River Brewery (http://bit.ly/MvokED). Eine Art Bräustüberl auf amerikanisch (sie haben sogar einen Biergarten mit gut frequentiertem Hufeisenwerfturf) und was dem Bayern sein Schweinsbraten ist, ist dem Fortuner sein Monster-Burger oder was Frittiertes – schon das Beilagenkörbchen Pommes würde ein äthiopisches Dorf bequem eine Woche lang versorgen. Ich bestelle ein “Triple Play”, bestehend aus Scampi, Fisch und Hühnchen, “beer battered & cooked to a golden brown” und bekomme ein in Tetris-Manier gestapeltes Türmchen frittierter Klumpen, dessen Reste noch gut für ein opulentes Picknick am nächsten Tag ausreichen.
Völleschmerzgeplagt wanken wir die paar Schritte zum Motel zurück und können in dieser Nacht nur auf dem Rücken schlafen. Und mit wirren Träumen.
Fortsetzung folgt.
