Als ich nach ein paar Stunden glücksverklärt nach Hause zurückkehre, sitzt Innerer in Schlamperklamotten, mit Schmollface und verschränkten Armen auf dem Soffa und nimmt übel. Man hätte, mosert er, bevor ich auch nur aus Schuhen und Jacke geschlüpft bin, den Abend damit verbringen können, sich in der Mediathek die erste Staffel der Simon-Beckett-Verfilmung reinzuziehen. Ohne Umziehen, ohne Rausgehen ins Kalte und Dunkle. Nämlich.
Innerer heißt mit Nachnamen Schweinehund und ist der eher apathische Null-Bock-Teil meiner Persönlichkeit, der Couch bzw. bei schönem Wetter den Liegestuhl auf dem Balkon für ein absolut ausreichendes Universum hält, in dem es Unmengen von Büchern zu lesen und Filme zu schauen gibt und der sehr ungern Aufwand betreibt. Warum auch? Er hat sich in der Pandemie zum Herrscher über mein Kulturprogramm aufgeschwungen und kann ü-ber-haupt nicht damit umgehen, dass ich mir meine Stimuli längst und mit Begeisterung wieder außerhalb meiner eigenen vier Wände suche. Weil, daheim ist es sicher und sowieso am schönsten.
Denkste, du faule Sau!
Es war nämlich so, dass ich in der Wochenendausgabe der SZ eine enthusiastische Kritik Egbert Tholls zu einem “Shakespeare-Pasticcio” der Abschlussklasse der Falckenberg Schule gelesen und mir spontan eine Karte vorbestellt hatte. Ja, allein. Ja, obwohl ich erst am Vorabend im Theater war. Ja, weil ich nämlich gerade merke, wie ich aus diesen zwei Wochen Urlaub zu Hause für mich selber eine Art Generalprobe für mein zukünftiges Rentnerinnenleben mache. Außerdem, Shakespeare! Und es war weder kalt (Frühling hat anfangen) noch dunkel (Sommerzeit). Nimm dies, Innerer!
Ich beginne mit Triple-Hachs! Für diese jungen Menschen, die da brav in einer Reihe aufgestellt auf der kahlen Bühne des Werkraums aus der Gruppentherapie berichten, warum sie Schauspieler werden wollen. Für die Regisseurinnen Jorinde Dröse und Anne Habermehl, die mit ihnen die großen Themen aus den großen Stücken* (Othello, Macbeth, Hamlet, Romeo&Julia, Sommernachtstraum) und deren Parallelen und fließende Übergänge in die Figuren anderer Stücke erarbeitet haben. Ganz besonders für das Bühnenbild auf einem lumpigen Vorhang hinten an der Bühne, auf den Sofiia Melnyk live Zitate, Blümchen und Figürchen malt. Mann, ist das eine schöne Idee und passt die zum Barden!
Man hat die Kinder wohl zu lange im Fundus alleine aussuchen gelassen, und dabei sind sehr lustige Hybride zwischen Prinzessin, Page, Batman (und -frau), Elfchen und man weiß es nicht herausgekommen. Vor allem die Kategorie “Man weiß es nicht”… Mein Favorit war das blütenweiße Tütütüll-Ensemble von Emma Floßmann.
Und da spielen sie nun, die Irrungen und Wirrungen von Liebe und Hass, Begehren und Habenwollen und nicht Bekommenkönnen und es endet, wo es immer endet, im Sommernachtstraumwald vor Athen, wo Elfenkönig und -königin (eine ganz tolle Titania von Annika Molke, die wir uns merken wollen) alle in ihren Streit hineinziehen und zum Schluß irgendwie alle jeden und jede lieben und der Vorhang fällt und die Fragen offen bleiben.
Ganz tolle Ensembleleistung! Eine von den Zehnen war der hellste Stern: Marlene Markt. Ganz viele Hachs! Trocken wie drei Wüsten, extrem genau und präzise, komisch, perfide, lakonisch. Die wollen wir uns merken, die hat eine große Zukunft vor sich. Was hatte ich Spaß! Sie spielen das noch ein paar Mal. Wer die Zeit findet, gehe hin und genieße.
Nachtrag: Zwei der Darstellerinnen haben Deutsch nicht als Muttersprache gelernt und einen hörbaren Akzent. Das geht noch ganz gut, wenn sie “normal” sprechen, aber immer dann auf Kosten der Verständlichkeit, wenn sie große Emotion spielen sollen. Ja, ich verstehe, auch das Theater hat einen Diversitätsanspruch. Aber ob im Sprechtheater wirklich jemandem damit gedient ist, dass ausgerechnet Sprache nicht verständlich und verstehbar ist, bezweifle ich sehr.
* Im Programmheft ist noch ein Zitat aus “Much Ado About Nothing” zu finden – ich hätte gerne gewußt, warum es dieses von mir sehr geliebte Stück nicht in den Abend geschafft hat…