Dolchstoßlegende* reloaded

Vorhin im Zeitungsladen will ich nur rasch für die dem Dreckswetter angemessene dicke Wochenendausgabe der Süddeutschen bezahlen, um anschließend im Schutz meines geheizten Heims bei einem langen Frühstück durch Weltgeschehen zu rascheln, allein, ich komme nicht durch den Pulk zorniger durcheinander brüllender Männer, die sich in einer Sache einig zu sein scheinen: “Ein Skandal!” sei das. Ach was, nicht weniger als “Verrat”! “Armes Deutschland!” und “… vor die Hunde!”, ist zu hören. Weil: “Die haben uns verraten!”

Wer “die” ist, wird, bis ich dann doch doch meinen abgezählten Obolus* entrichten darf und ja, “die Werbung gleich dalasse”, nicht klar. Der Grund für den Untergang des Abendlandes hingegen schon: “Unsere Jungs” tragen nicht länger Addidas, sondern Nike. Die Gegenmaßnahme ist ein heiliger Schwur: “Nie mehr! Nie mehr!” werden sich die beteiligten Herren “ein Länderspiel mit Schwulentrickots von Nicky anschauen!”

Hätte ich sagen sollen, dass ich das auch schon vorher nicht gemacht habe? Damals, als die Leibchen noch nicht von Rosa nach Lila changierten und sie noch von der Wirkwarenfabrik des ehemaligen NSDAP-Mitglieds Adolf Dassler bezogen wurden?

* Ja, okay, das ist übertrieben. Aber ich wollte auch mal Click Bait ausprobiert haben…

** Fünf Euro und zwanzig Cent für einen Wegwerfartikel wie eine Tageszeitung. Das ist schon erwachsen und gibt einem das Gefühl, man spende doch gleich für die Wiederaufforstung der für die Papierrollen zuvor abgeholzten Wälder.

Jeder ist ein Künstler

Er sei, trägt ein Mann im Autoradio vor, in Hamburg gewesen und habe dort im Hafen die Möhren fliegen sehen. Ich höre in der Darbietung nur den Auftrag: “Lass diese Szene von Dall-E malen.”

Kann ich was dafür, dass im Vergleich zu diesem Sänger Udo Lindenberg klingt wie jemand, der in Fortgeschrittener Logopädie promoviert hat? Hmmm?

Aus der Welt der Leuchtreklame

Wochenlang hat mich auf dem Heimweg dieses Werbeschild angeflackert (und vor die Herausforderung gestellt, ein Foto zu machen, bei dem es klar zu erkennen ist und nicht schon wieder gerade erdunkelt). Jetzt muss ich die Botschaft bloß noch verstehen.

“Bäh” sind wahrscheinlich die bösen “Zusätze”, von denen die Werbetreibenden hier sprechen. Aber welcher Teil vom Huhn ist “Bäm”?

Sachdienliche Hinweise bitte an den flockblog.

Im Baumarkt

Noch ein Tag Arbeit und dann habe ich zwei Wochen Osterferien und den festen Vorsatz, meine Bibliothek auf Vordermann zu bringen. Will heißen, mich von den “Les-ich-nie-wieder”-Büchern zu trennen und die anderen in eine ordentliche Ordnung zu bringen. Gleiches zu gleichem, nicht, dass ich weiter nach den Werken einer Autorin oder eines Autors in ihrer Versprengung in mehreren Regalen suchen muss. Außerdem die Themen wieder näher beieinander. Science Fiction nicht länger mit Sachbuch, nicht mit Kinderbüchern mischen – sowas halt.

Dazu fehlte mir seit der Beschaffung der neuen großen geräumigen Regale irgendwann weit vor Weihnachten ein Regalboden, der offensichtlich seine Bestimmung woanders gesucht und gefunden hatte. Ich weiß, da geht man in den Baumarkt, sucht die nächstpassende Größe und läßt vom freundlichen Zuschneider sein Brett passend zuschneiden. “Man” macht das vielleicht. Keine große Geschichte. Ich hingegen stelle mich an. Heute passt es wegen dem nicht, morgen wegen was anderem und übermorgen ist es nicht recht – Hauptsache, ich muss keinen Baumarkt betreten. Die riechen komisch und da sind eigenartige Leute unterwegs und überhaupt ist es immer schon halb dunkel und die Parkplätze irgendwie äh-eklig, nein, Baumärkte und ich sind nicht füreinander geschaffen. Weil unter den Restbeständen im Keller nicht ein Brett lang genug war und auch durch gutes Zureden nicht wachsen wollte (was sind schon 1,8 cm?) und die anderen zu lang und außerdem farblich vollkommen daneben und nicht ein Mal, nicht ein einziges Mal ein passendes einfach meinen Weg kreuzte oder nach Feierabend vor meiner Haustür lehnte, kam ich nach langem Zaudern zu der Erkenntnis, dass mir die Regalbodengötter einfach nicht gnädig gesonnen sind.

Heute war ich bei Obi.

(Diesen Satz muss ich alleine stehen lassen, so stolz bin ich auf mich.)

“Ganz dahinten beim Holz” sei, was ich suche und der Zuschneider werde willig herbeieilen, wenn ich nach ihm läute. War alles richtig, hat insgesamt keine zehn Minuten gedauert und gar nicht weh getan. Und weil die Dame an der Kasse (ich sag’s ja, komische Leute sind in diesen übelriechenen Etablissements zu finden), also, weil die Dame an der Kasse nicht fähig war, eins und eins zusammenzuzählen, mußte ich zwar für das Zuschneiden, nicht aber für das Brett in Sonoma-Eiche-Furnier bezahlen. Für 99 Cents kann ich zu Ostern Disziplin schaffen.

Vielleicht verstecke ich mir sogar ein Ei.

Danke, oh oranger Obi-Bieber.

Noch in der Mediathek – Tatort Münster “Unter Gärtnern”

Achtung: Spoiler!

Die Hauptfigur ist eine “Sabine”. Natürlich aus einem Boomer-Jahrgang. Das Motiv findet sich im Münster der Achtziger Jahre (reicht aber bis zum Westfälischen Frieden zurück). Das war die Zeit, als die Frau Staatsanwältin Klemm noch mit dem “Roten Bullen” Horst* (nix Kuba, sondern tot und hinter der Laube vergraben) in besetzten Wohnungen herumturtelte und der Eiserne Vorhang schon schwer löchrig war.

Sabine, ein ausgesprochen vitale ältere Dame wird tot in ihrem Kleingarten aufgefunden. Mit ihr zwei Eichhörnchen. “Verschieden?” – “Nein, für mich sehen die gleich aus.” “Verblichen?” – “Nö, die haben eigentlich eine gute Farbe.” “Entschlafen?” – “Auf mich wirken die eher tot.” Münsteraner Dialoge vom Feinsten. Man muss das mögen. Ich mag das. Und habe mich weggeschmissen, als auf der einen Trage die tote Sabine (zugedeckt), auf der anderen die beiden Eichhörnchen (jeweils sorgsam festgeschnallt) in die Pathologie abtransportiert werden. Dort leben Ursprung und Liefers bei der Ermittlung der Todesursache (“Haben wir nicht irgendwo noch ein Hirn rumliegen?”) ihre eigenartige Beziehung aus, was die “Miese-Sprüche-Kasse” der Assistentin bis zum Anschlag füllt.

Nebenher ermittelt Prahl in Schafferklamotten, wie meine Hunsrücker Kollegen die praktischen Arbeiterlatzhosen nennen, im Außendienst in der Kleingartenanlage, die sich, wie jede ordentliche Kleingartenanlage, als Abgrund aus Zwisten und Lüsten erweist. Neben dem kriselnden Ehepaar (“Scha-atz, die Polizei will dich zu deiner Affäre mit Sabine befragen”) lebt dort auch der Freikörperkulturfanatiker (wenn splitternackte Männer Würstchen grillen hat das immer so einen Gruseleffekt), das gemischtrassige Öko-Ehepaar mit dem veganen Biodiktat (und totsicher einem Lastenrad, auch wenn man es nicht sieht) sowie geiernd auf das Grundstück der Alten, die alte Dame selbst mit ihrem allerliebsten Giftpflanzengärtchen – wie’s halt so ist in der Idylle.

Natürlich werden sämtliche Morde aufgeklärt. Der an der Auftragskillerin Sabine (es war nicht der Gärtner) und alle ihre. Toll. Aber dann kommt noch ein letzter Twist, bei dem die Slow Horses Pate gestanden haben dürften. Sehr spaßig. Schräger Humor vorausgesetzt.

Dazu ein Soundtrack, der schöner nicht sein könnte. (Hey, ich bin ein Kind dieser Zeit, ich darf das schön finden.) Pink Floyd (mehrfach), David Hasselhoff, Steve Miller Band, Depeche Mode, Billy Joel und ganz besonders schön dieser Tango von Rebekka Backen:

Anschauen! Spaß haben. Nicht mehr erwarten als das.

* Wenn das keine Verneigung vor Schimanski ist, dann weiß ich aber auch nicht.

Gelesen: Jesmyn Ward – „Salvage the Bones”

“Sing, Unburied, Sing”, ihr damals aktuelles Buch, war vor über fünf Jahren meine erste Begegnung mit Ward und ich war seinerzeit schwer beeindruckt. Nun habe ich ihren Zweitling aus dem Jahre 2011 gelesen, wobei, “gelesen” klingt so einfach. Das war es nicht. Wards Bücher spielen im tiefen Mississippi-Swamp-Süden der USA, im “Bois Sauvage”, und Rassismus und damit bittere Armut von Schwarzen, mit schlechter Ernährung, unzureichender Bildung, Drogen, Vielzufrühschwangerschaften, lumpiger medizinischer Versorgung ist kein theoretisches Problem, sondern ganz schlicht Alltag. In zwölf Kapiteln schildert Ward aus der Perspektive der 15jährigen schwangeren Esch, wie sich Hurrikan “Katrina” über dem Golf aufbaut, tobt und tötet und schließlich eine nie vorher dagewesene Verwüstung hinterläßt. Das letzte Kapitel heißt “Alive”. Nichts steht mehr. Sie haben das blanke Leben gerettet. Salvaged the bones. Dass trotz allem Hoffnung bleibt, macht dieses Buch besonders stark.

Keine freudvolle Lektüre, aber eine sehr horizonterweiternde. Ich könnte diese schwarze Sprache nicht ins Deutsche übersetzen und ziehe den Hut vor Menschen, die das versuchen.

Jeder Tag ist Muttertag

Die Belegeschaft des Discounters unten bei mir in der Passage ist ein sehr solidarischer Haufen. Immer, wenn Ver.di dazu aufruft, schließen sie sich dem jeweiligen Streik an. So auch dieser Tage, was dazu führte, dass eine einkaufswillige Mutter und ihr Sohn vor den verschlossenen Türen des dunklen Marktes standen.

Junior, offensichtlich der Typ, der keine Mißerfolge, sondern nur Chancen sieht (was wird der kleine Kerl später im Leben noch nervig werden), witterte denn auch sofort eine. Man könne doch die nun gewonnene Zeit für den Erwerb von Eis nutzen. Da, gleich da vorne rechts, zeigt er aufgeregt, da wo schon verführerisch die halbmannshohe Eiswaffel kalten Genuß verheißt (ist der Mülleimer, aber wer will kleinlich sein. Außer mir?).

Aber Muttern ist ja nicht doof und mit allen parentalen Wassern gewaschen: “Geht nicht. Die Eisdiele streikt auch.”

Abgang nach links.

Altersvorsorge

Das Unternehmen meines Arbeitgebers im Hunsrück liegt nicht gerade in einer Metropolregion, sondern vielmehr ziemlich zentral in einer Gegend, die selbst von der dortigen Landesregierung als “strukturschwaches Gebiet mit hohem Förderbdarf” ausgewiesen wird. Daher frage ich in Vorstellungsgesprächen immer genau nach, was den Menschen mir gegenüber dazu treibt, hierher zu kommen. Nicht, dass er nach viel zu kurzer Zeit feststellt, dass ihm zu wenig los ist und er dringend wieder weg will.

Der Bewerber neulich hat mich dann doch verblüfft. Er und seine Frau hätten vorgesorgt. “Wir haben uns für den Ruhestand ein Haus gekauft. Superlage! Direkt an der Kriegsgräberstätte.”

Oooo-kay. Jedem seine Lebensplanung. Keine Fragen mehr. Wir haben ihn eingestellt.

Mir ist spontan nur dieses Foto aus den grausligen Schneetagen im Dezember 23 eingefallen.

Vom Werden und Vergehen

Bei mir vor dem Büro, zwischen Maschendrahtzaun und Wellblechwand, hält sich schon seit Jahren wacker ein Rosenstrauch. Gerade zur Zeit quasi Sinnbild. An einen der unteren Zweige nämlich, da, wo wirklich nie ein Sonnenstrahl hinkommt, klammern sich drei letzte schrumplig-rote Hagebutten.

Der wilde Trieb oben hingegen, der immer weiter dem Lichte zu strebt und demnächst über den Zaun entkommt, der treibt schon die ersten zartgrünen ganz ganz weichen Blättchen.

So auch das Leben. Jaha.