Gelesen: Amie Kaufman, Jay Kristoff – “Illuminae. Die Illuminae Akten_01”

So, was haben wir denn hier? Einen Abenteuer-SciFi-Liebes-Outbreak-Gamer-KI-Mädchenermächtigungs-Briefroman (via e-mail) in einer Ausgabe des DTV-Verlags. Die Geschichte wird nicht direkt erzählt, sondern mittels Verhörprotokollen, Tagebucheinträgen, E-mails, Funkspruchaufzeichnungen und dergleichen (vulgo “Akten”); diese werden graphisch geschickt voneinander abgehoben. Sehr gut gemacht. Mein Favoriten sind die Flugbahnen und ganz besonders die atomare Explosion.

Um was geht es? Die jugendliche Heldin Kady ist süße siebzehn, schlank, sportlich, gutaussehend, war schon Brat, bevor Cardi B wußte, wie man das schreibt. Ein echt toughes cookie, die Kleine, und dabei auch noch so gescheit. Die volle IT-Nerdette. In gewissen Kreisen sicher eine Traumfrau: die einen wollen so sein wie sie, die anderen wollen sie haben. Die wichtigsten drei Männer in ihrem Leben sind Papa, der aber leider gerade auf einem anderen Planeten Dienst schiebt, ihr (Ex-)Freund – it’s complicated – Ezra und ihr Sensei und Mentor Bryan, asiatischer Abstammung und jeder Leibesübung abhold, weil: viel Leib. Außerdem Code-Gott. (Ja, genau wie man diese Typen aus Karikaturen kennt.)

Den jugendlichen Helden gibt Ezra Mason, gutaussehend, großgewachsen (und wahrscheinlich auch gutes Haar, das ist in den USA ein wichtiges Kriterium), Footballspieler, der die Ballspieluniform später gegen eine Top-Gun-Kampfpilotenuniform austauscht und – natürlich – nach kürzester Ausbildung ein begnadeter Flieger wird. Quasi: zeig mir die Sonne, Boyo. Mit ihm hat sie am Morgen der Zerstörung ihres Planeten Schluß gemacht.

Anschließend viel alles, mit viel scharf, 599 Seiten lang: Weltraumschlachten, atemberaubende Fluchten und sowas von knapp davonkommen, Einsatz von A- und B-Waffen, wobei unter anderem die Schiffs-KI beschädigt wird und zum HAL 9000* mutiert und ein großer Teil der Besatzung mit einer schlimmen Seuche infiziert, die sie zu blutrünstigen Monstern macht. Aber unsere Heroine kämpft, coded, was das Zeug hält und wird ständig besser, klettert über Server-Türme und -Kabel, kriecht durch alles, was so ein Raumschiff an Schächten hat und schafft es immer gerade noch so. Die “Erwachsenen”, also alle Autoritätspersonen, kommen gegen dieses eisenharte Persönchen nicht an und ihr nie auf die Schliche. Wie das so ist im wirklichen Leben und man im Kinderzimmer einen Starschnitt von Katniss Everdeen hängen hat.

Raffiniert gemacht. Hut ab. Das Buch ist hübsch. Sorgfältig ausgearbeitet, bis hin zu den Skizzen der Raumschiffe, den Countdown-Zählern, den unterschiedlichen Lay-Outs der Schriftstücke. Außerdem heldenhafte junge Menschen, die Papa und Mama lieben, aber cleverer sind als alle anderen Alten. Extra-Außerdem: ein Zuckerbonbonromantik-Schluß. Alles. Also alles, was ein Buch braucht, um ein “booktok”-Erfolg zu werden. (S. zum Beispiel hier: https://www.tiktok.com/@katsbooks/video/6921695774212361474). Es gibt dort noch viele booktoks mehr und genau da bin ich raus.

Noch eins: Ich habs auf Deutsch gelesen, kann also nicht sagen, wie es im englischen Original heißt, aber die Formulierung vom “Sternenlicht, das die Rückseite seiner/ihrer Augen küßt” kommt so oft vor, dass ich ein Brecheimerchen herbeigesehnt habe. Auch für Sätze wie diesen: “Wie gerne würde ich ihr sagen, dass es mir leidtut. Wie gerne würde ich diesen Kelch von ihr nehmen.” Welchen Kelch? Was wollen diese Leute und warum liest das niemand gegen? Manno!

Wir, Kady-Baby, sind miteinander fertig und die Bände 2 und 3 brauche ich nicht zu lesen. Ich werde vielmehr der GenZista, die mir das Buch empfohlen hat, eine Freude machen und ihr meinen ersten Band schenken. Denn sie hat ja recht: dafür 25 Euro vom Taschengeld auszugeben ist schon sehr viel. Mußt du nun nicht mehr, du gutes Kind.

* Für die, die Odyssee im Weltraum gerade nicht parat haben.

Aus dem Vokabelheft

Dieser Tage beschwerte sich ein Protagonist in einem Film, dass jemand “got my goat”. Da es bis dato inhaltlich weder um Ackerbau noch Viehzucht ging, und der Herr offensichtlich ziemlich sauer war, vermutete ich ein Idiom, hab’s nachgeschlagen und hatte recht. To get one’s goat bedeutet: jemanden auf die Palme bringen, jemandem auf den Keks gehen, jemanden zur Weißglut bringen, auf den Zeiger gehen.

GOAT in Großbuchstaben hingegen ist ein Akronym, wird, zum Beispiel, auf Meryl Streep angewendet und steht ausgeschrieben für Greatest Of All Time.

Again what learnt.

Alle Vöglein sind schon da

Alle. Morgens, um kurz nach vier im schallverstärkten Innenhof und sie musizieren, pfeifen, zwitschern, tirilieren als gäbe es keine anderen Tageszeiten. Wie zum Beispiel den frühen Nachmittag.

Isso: Frühling will nun einmaschiern.* Aber geht das vielleicht auch in leise und dafür wärmer? Hmmm?

* Doch, so militärisch hat das seinerzeit der Herr August Heinrich Hoffmann von Fallersleben gedichtet.

Homo ludens

Ich kenne nicht wirklich viele Computerspiele, bin aber einem zugegebenermaßen verfallen: Bookworm (hier: https://www.solitaireparadise.com/games_list/bookworm.html).

Das blöde ist bloß: das Spiel ist prüde. Da hätte ich jüngst das fast schon an Genialität grenzende Wort “SHITTIER” bilden können, aber nix da. Es gibt keinen “SHIT” und also auch keine Steigerung davon. In deren Welt kommt “SLUT” nicht vor und auch nicht “ASSHOLE” oder “FUCK” und sollte mir das Schicksal je gewogen sein und ich könnte, nur mal angenommen, “MOTHERFUCKER” legen – ich möchte wetten, dass diese Mayflower-Nachfahren-Programmierer so ein böses Wort auch nicht zulassen.

Was wäre die Welt ein besserer Platz, wenn dieses Drecksschiff abgesoffen wäre.

The Wheels on the Bus go round and round…

Seit gut zwei Wochen sehe ich so viel von München wie noch nie. Mann, komm’ ich rum.

Seit die MVG mit der Generalsanierung des südlichen Abschnitts der U6 begonnen hat, bin ich nämlich mit dem SEV unterwegs. Für die, die mit dem Begriff und seinem sechseckigen, in seiner Form nicht zu Unrecht an ein Stopschild erinnerndes Symbol vertraut sind: SEV steht für Schienenersatzverkehr und ist ein Graus.

Man verstehe mich nicht miß. Die MVG hat den Ausfall und den Ersatz sehr gut vorbereitet. Sehr gut. Schon im Vorfeld intensiv informiert, hinreichend beschildert, große Mengen an Ersatzbussen im Einsatz, gleich zwei Alternativstrecken im Angebot. Allerdings führen beide Strecken durch Vorstadtstraßen, enge Vorstadtstraßen bzw. über den Mittleren Ring und sind damit der Willkür eigenartig parkender und fahrender Straßenmitbenutzer und deren Stoßzeiten unterworfen. Fahrplan ist so Glückssache.

Es ist keiner zu beneiden. Nicht die Busfahrer, die, nicht zwingend der hiesigen Sprache mächtig, gezwungen sind, sich den genervten Fahrgästen zu stellen, nicht die, die die Busse als Ersatz für die U-Bahn benutzen müssen. Ob im Rollstuhl, mit Kinderwagen, Rollator oder Blindenstock. Die sich über die überdurchschnittlich hohen Einstiege in die überdurchschnittlich hoch gelegenen sehr engen Sitze mit null Beinfreiheit quetschen müssen.

Mich nervt am allermeisten, dass so viel Zeit verloren geht. In der U-Bahn verlese ich die Fahrtzeit einfach, Stichwort: U-Bahn-Buch. In den Rüttel- und Schüttelbussen geht das nicht, da wird mir sofort schlecht. Und deswegen sehe ich seit gut zwei Wochen so viel von München wie noch nie.

Mann, komm’ ich rum.

Gestern Abend im Volkstheater: Wolf Haas, Lesung aus “Wackelkontakt”

Man möchte nicht der Autor auf Lesereise sein, dessen ganzes Elend sich zum Ende der Lesung in dem Satz manifestiert: “Sie können sich gleich draußen noch Bücher signieren lassen. Sie müssen aber nicht.”

Man selbst ist hingegen sehr froh, der Freundin zum Geburtstag die Super-Erste-Reihe-Karten geschenkt zu haben, als Begleitung auserkoren worden zu sein und einem extrem unterhaltsamen intelligenten Autor beim Lesen einer sehr sorgfältig kuratierten Auswahl von Textstellen und dem Erzählen von G’schichterln zuschauen und -hören zu dürfen und genießt schon allein die Ausführungen zum weichen Endlaut, welcher die Aussprache des Worts “Puzzle” beim Vorlesen in Deutschland für den Österreicher zu einer Herausforderung macht, weil, in seinem natürlichen Idiom klänge das eher wie “Bussel”. Das wieder täte die Deutschen verwirren.

Sehr schön wars.

Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre es, dass Haas mir zukünftig vor dem Einschlafen immer ein paar Seiten aus dem Gesamtwerk vorliest. Die Bücher kann ich stellen.

Nimmer ganz neu im Kino: “A Complete Unknown”

Neulich fragte mich eine Freundin, ob ich nicht den neuen Dylan-Film mit ihr im Kino angucken mag. Hmmm. Kino ist seit Corona irgendwie noch nicht wieder so richtig auf meinem Veranstaltungsradar, von Timmy Chalamet als Schauspieler halte ich nicht allzuviel und von einem Biopic über eine noch lebende Persönlichkeit eher auch nicht. Aber ja, warum nicht?

I stand corrected. Einer jener kleinen intimen Kinosäle in den Museumlichtspielen bildet genau den richtigen Rahmen für einen Film über den Aufstieg des jungen unbekannten Musikpoeten Bobby aus Missouri Anfang der sechziger Jahre in New York bis hin zur Elektrorevolte beim Folkfestival in Monterey 1965. Timothée Chalamet, der auch selbst singt, ist brillant. Hut ab! Endlich mal mehr als gedankenschwere Augenaufschläge und melancholische Blicke.

Mitautor und Regisseur James Mangold liefert einen sehr soliden Film ab und die Besetzung ist perfekt. Casting-Oscar? Nicht doch, die Academy hat sich entschieden, den erst ab 2026 zu vergeben. Hrrrgggn! Dabei sind sämtliche Supporting Actors (ich mag das Wort Nebenrolle nicht) wirklich großartig. Pars pro toto: Ed Norton trifft den guten Menschen Pete Seeger genial, Monica Barbaro ist nah am glockenhellen Sopran von Joan Baez, Dan Foglers Manager Albert ist zum Niederknien, wie auch Boyd Holbrooks Johnny Cash und man leidet sehr mit Elle Fanning, die in der zweiten großen weiblichen Rolle den Karrierekollateralschaden spielt. Eine besondere Erwähnung soll Scoot McNairy gelten, der aus einem Krankenbett heraus den großen Woody Guthrie gibt, der, durch Huntington schon seiner Sprache verlustig, seiner Figur nur noch mit Mimik Ausdruck verleihen kann. Und wie! Diese Augen brennen.

Noch einmal zurück zu Timothée Chalamet. Ich bin wirklich überrascht, denn ich glaube ihm seine Figur und deren Entwicklung vom Provinzbübchen zum Superstar, getrieben vom Drang, immer bessere Lyrik und Musik zu schaffen, ohne Rücksicht auf Verluste, seien es Frauen oder Freunde. Um so unerklärlicher ist es, dass der Film die Heroinphase des Künstlers außen vor läßt und nur ständig und heftig geraucht wird. Selbstzensur fürs nachzuziehende Jungpublikum?

Kurz vor Ende ist ihnen die Zuckerdose ausgerutscht. Sehr unnötig. Dylan lädt die längst abgelegte Freundin (Elle Fanning) auf den Rücksitz seines Motorrads und man heizt helmlos mit wehendem Haar durch den wunderschönen pazifischen Westen nach Monterey. Dort müssen sie aber beide unter Schmerzen erkennen, dass ihre gemeinsame Zeit vorbei ist und dieses Mal die Trennung endgültig. Was ein rührseliger Mist! Hätte es nicht gebraucht.

Dafür hätte ich mir die Szene, in der Joan und Bob, auch getrennt, aber zu gemeinsamen Auftritten gebucht, in einem Kampfduett “It ain’t me, Babe” vortragen, gleich ein paar mal ansehen können. Da sprühen Funken.

Ich habe für mich wieder festgestellt, dass meine musikalische Sozialisation in einer Zeit begonnen haben muss, in der ich allenfalls als Säugling präsent war und der Film hat mich mit einem Gefühl schwerer Nostalgie und Sehnsucht nach dieser Zeit, die ich nie erlebt habe, zurückgelassen. Gab’s dafür nicht einen Begriff und habe ich darüber nicht schon mal geschrieben? Ja und Ja.

Noch in der Mediathek: Tatort – “Borowski und das Haupt der Medusa”

Der Abschiedstatort von Axel Milberg, dem “Natural Born Kieler” (doch, der Slogan IST schön). Schade. Ich mochte den.

Eine gelungene Produktion, mit einem überragenden August Diehl in der Rolle des Muttersöhnchenpsychopathennerds. Ich nehme auch an, dass Corinna Kirchhoff sehr viel Spaß an ihrem bösartigen Muttertier gehabt haben dürfte – soviel Gemeinheit auf einen Schlag darf man ja sonst gar nicht spielen. Ansonsten solides Tatort-Handwerk mit einer sehr schönen Wendung am Ende. Doch, das kann man ansehen.

Gelesen: Percival Everett – “James”

Vorbemerkung: Ich habe die Angewohnheit, mich von Büchern, die bei mir starken Eindruck hinterlassen haben, nach der letzten gelesenen Seite Abschied zu nehmen. Dann halte ich es noch ein bißchen in der Hand, sinniere über den Inhalt, lese vielleicht die Stelle nochmal, von der ich mir die Seitenzahl extra deswegen gemerkt hatte. Wenn ich es dann ins Regal stelle, lege, stopfe, bin ich ein wenig traurig, weil wir uns jetzt trennen.

“James” ist so ein Buch. Everett ist dafür im letzten Jahr mit namhaften Literaturpreisen überschüttet worden, und wenn “Orbital” nicht auf der Booker-Shortlist gewesen wäre, wäre er gewiß für “James” damit ausgezeichnet worden. Meine jüngst erworbene Ausgabe hat sogar ein zusätzliches Umschlagblatt, um nur das nötigste an lobpreisendem Blurb unterzubringen, weil jeder und jede, die in der Literaturwelt was zu sagen haben, was dazu gesagt hat. Meist überschwengliche Begeisterung, manchmal mehr.

Sie haben alle recht.

Worum geht es? “James” ist der schwarze Mann, der mit Huckleberry Finn auf einem Floß den Mississippi hinunterfährt. Everetts Geschichte ist aber nicht nur eine Nacherzählung des Twain-Abenteuers, sondern ein sehr kluges Buch über die Macht der Sprache und hinterfragt und demaskiert die Philosphen mit den hehren Theorien von der Freiheit des Menschen, die sich halt mal doch nicht zwingend auf jeden erstreckt. Über Sklaverei lernt man nebenher auch jede Menge. (Wie lange sich das Werk in amerikanischen Bibliotheken halten wird, ist sehr fraglich.)

Everett ist ein begnadeter Geschichtenerzähler und “James” sein 30. Buch. Was werde ich aufzuholen haben. Und berichten.

Lesen! Lesen! Lesen!

Gestern Abend in der Unterfahrt: “Jakob Manz Projekt”

Die Unterfahrt ist bis auf den allerletzten Stehplatz überausverkauft, die Luft schon eine halbe Stunde vor Konzertbeginn zum Schneiden. Aber dann legen die vier jungen Ausnahmekünstler Jakob Manz am Altsaxophon, Hannes Stollsteimer an Piano und Keyboard, Frieder Klein am E-Bass und Leo Asal am Schlagzeug los und der Groove beherrscht den Raum. Atmen? Hunger? Durst? Egal – Hauptsache diese Musik. Wa-ahnsinn!

Am Ende sind die Musiker, allen voran Manz, der sich mal wieder die Seele aus dem Leib geblasen hat, fix und fertig und das Publikum in Ekstase. Viel schöner kann ein Konzert nicht sein. Danke!

Nachbemerkung: die sind miteinander gerade mal gute 100 Jahre alt. Und jetzt schon so dermaßen gut. Was wird da alles noch kommen? Die Vorfreude ist groß!