Endlich!
Ich hatte ja schon berichtet, wie sehnlichst ich nach fast 10 Jahren Wartezeit den “neuen Bacigalupi” erwartet habe – https://flockblog.de/?p=49425 – und dann brauchte ich noch ein zusammenhängendes Stück Zeit, um die über 500 Seiten zu verschlingen (während ich mich ständig ermahnen mußte, langsam, laaangsam zu lesen und zu schlucken und zu genießen).
Wow!
Meine Fresse!
Holla, alle Waldfeen!
Bisher kenne ich Bacigalupi vor allem als Autor futuristischer Dystopien, in denen die Menschheit gezwungen ist, auf dem nunmehr erfolgreich zerstörten Heimatplaneten zu überleben. Genauso, wie Wikipedia es erklärt: “Eine Dystopie ist eine meist in der Zukunft spielende Erzählung, in der eine erschreckende oder nicht wünschenswerte Gesellschaftsordnung dargestellt wird.” Betonung auf “meist”. Denn das aktuelle Werk spielt in einer fiktiven Vergangenheit, ist aber deswegen nicht weniger dystopisch, denn auch hier ist der Mensch des Menschen Wolf und die Welt nicht, wie sie sein könnte.
Wir gehen kurz zurück ins 20. Jahrhundert, erinnern uns an Bert Brechts “Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?” und solchermaßen vorbereitet tauchen wir ein in den fiktiven Stadtstaat Navola, um die Familie di Regulai kennenzulernen. Die di Regulai sind Besitzer einer Bank und über ein weitgesponnenes Netz aus Darlehen, Zinsen, Spionage und Gefälligkeiten, Hypotheken, Handel, Versicherungen, Hochzeiten und Wohltätigkeiten sind sie Dreh- und Angelpunkt aller Macht, ohne dabei je formal ein politisches Amt innezuhaben. Die Florentiner Medici des frühen 15. Jahrhunderts dürften für diesen frühen Mob Pate gestanden haben, wobei Navola, soweit reicht die dichterische Freiheit allemal, im Gegensatz zu Florenz einen eigenen Stadthafen hat, weil man sowas immer gut gebrauchen kann. Außerdem vor den Stadttoren gleich herrliche Landschaften und Wälder, weil man ja nun auch jagen und picknicken will.
Bacigalupi erschafft ein Universum. Mit Mythologien, existierenden und untergegangenen, einer Welt vor dieser jetzigen, Philosophien und überlieferten Schriften, ein System aus Geldflüssen, Standardisierung, Verträgen und Versprechen. Es ist atemberaubend. Manchmal glaubte ich, ihm auf der Spur zu sein, weil die Namen von Göttern oder Denkern, die Entstehungsgeschichte von Welt und Unterwelt nah an dem ist, was ich kenne. Aber nein, wieder eine Wendung, wieder ein Verrat , wieder eine Intrige, ein Spiel im Spiel im Spiel. Ich war ja erst auch mißtrauisch: wie? Eine Geschichte über Drachen? Fantasy? Meh. Ja, es spielen Fantasyelemente hinein, aber Bacigalupi spielt auch mit denen und den Erwartungen, die seine Leserschaft haben könnte und hoppla!, wieder eine Volte.
Ich habe den Roman mit ganz ganz großer Freude gelesen und er sei von ganzem Herzen weiterempfohlen. Habe eben nachgesehen: es gibt bereits eine deutsche Übersetzung.
Lesen! Lesen! Lesen! Lesen!