Weil mir außer “Jawollja! Ma’am-Sir!” keine Antwort auf die Ansage meiner Eltern “Wenn du in den Hunsrück zum Arbeiten fahren kannst, kannst du auch zu uns kommen, zum Besuchen”, finde ich mich am Freitagnachmittag mit den Zutaten für zwei von mir gemäß Vorbestellung zu kochenden Mahlzeiten im Kofferraum auf der Autobahn und eine Dauerregenfahrt später in der peinlich-unbeholfenen Begrüßungssituation, die Corona uns aufgezwungen hat. Anschließend gemeinsames Fernsehen.
Am Samstagmorgen dröhnt mich zu nachtschlafender Zeit SWR4, eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt zur Altersversorgung von Schlagerfuzzis, aus dem Bett und an den längst abgefrühstückten Eßtisch, wo ein einsames Täßchen kalten, dafür fast durchsichtigen Kaffees auf mich wartet. In anderen Worten: ich bin im Königreich seniler Bettflucht und Herzbeschwerden angekommen. Ommmm! Noch 2 x Kochen und 1 x Schlafen.
Nach dem Mittagsschlaf wird per Fernbedienung wieder der Mitbewohner zum Leben erweckt und er wird bis zur Schlafenszeit ununterbrochen durchs Haus brüllen. (Ich nehme mir vor, das nächste Mal unbedingt Ohropax mitzubringen.) Am frühen Nachmittag laufen stundenlang Voyeursendungen, in denen von der Straße weggefangene Darsteller mit hysterisch sich überschlagenden Stimmen Schandtaten melden. Dass zu Beginn schon per schlecht lesbarem Text (rot auf blauem Balken) darauf hingewiesen wird, dass alle Beiträge frei erfunden sein, schert hier niemanden. Weder die Zuschauer und schon gar nicht die Darsteller. Im ersten Fall geht es um den gar nicht so imaginären Freund, der sich mit einem kleinen Mädchen in deren Spieltipi im elterlichen Garten aufhält. Was da geraunt und angedeutet und nicht ausgesprochen wird, ist wie aus dem Lehrbuch vom Feindbild. Zum Glück kann die aufmerksame Nachbarin (wo die nun wieder herkommt erklärt einem keiner) der eilends herbeigerufenen Polizei die “Fahrzeugnummer” (das kommt raus, wenn man “Kennzeichen” auf vornehm für die Kamera sagt) geben und der Kinderschänder wird sofort aufgegriffen. Aber dann hat das Drehbuch eine Überraschung für uns bereit. Er ist gar keiner. Nur schon vorverurteilt. In Wirklichkeit handelt es sich um den verwaister Vater eines zu früh verstorbenen anderen kleinen Mädchens, dessen Niere in Form einer Organspende an dieses Mädchen weitergegeben wurde, wodurch das verstorbene in seinen Augen in eben diesem Kinde weiterlebt. Und das wollte er doch “bloß mal sehen”. Die Stimme aus dem Off teilt mit, dass der Vater nun wegen “Wahnvorstellungen” in Therapie sei und der Pfleger, der ihm die Kontaktdaten gegeben habe, wegen “Geheimnisverrats” einsitze.
Nein, die Nachrichten können wir nicht sehen, die nächste Folge, wo es saftig um Vergewaltigung geht, läuft auf einem anderen Kanal doch schon. Widerlich! Die Opferdarstellerin wird von allen und jedem, mit dem sie im Rahmen der Ermittlungen zu tun hat, nach Strich und Faden weitertraumatisiert. Die Sprachauswahl reicht von “man hat ihr was angetan” bis zu Kanacksprach “hab isch Frau gefickt”. Für Nachrichten haben wir immer noch keine Zeit, dafür habe ich bei einem weiteren Sender gelernt, dass es verboten ist, mit Kurkuma bestreute Matratzen auf in Einfahrten spielende Kindern zu werfen. Vor der Episode “Vergewaltigung im Altenheim” habe ich mich wg. Zubereitung des Abendessens hinter geschlossener Küchentür gedrückt. Was für ein bodenloser Dreck! Und was der in den Köpfen alter Menschen anrichtet, sehe ich an dem neuen teuren Riegelschloss an der Haustür meiner Eltern, mit dem sie “die böse Welt da draußen” fernhalten wollen.
Noch 1 x Schlafen und 1 x Kochen. Zum Glück ist es warm genug, dass ich den hellen Teil der kürzesten Nacht lesend auf der Terasse verbringen kann. Noch 1 x Kochen, Mittagsschlaf und bevor der Fernsehen wieder loslärmt, geh ich dann mal. Auf der Rückfahrt scheint bei dünnem Verkehr die Sonne, so dass ich den Corola mit seinen neuen Sommerreifen in Rekordgeschwindigkeit nach München treiben kann. Huiiii!
Konfuzianismus wäre nichts für mich. Die betreiben Ahnenkult. Ich schaffe es gerade mal, mich zu beherrschen.