Das Gesetz von der Masse oder Drei Tage in Florenz

Die Florentiner sind ein fürchterlich bedauernswerter Menschenschlag. Sie leben in einer wunderschönen Stadt mit Vorzeigebrücken, Kirchen in allen Größen und Farben sowie Architektur im allgemeinen und schönen Bauwerken im besondern. Die Florentiner können leider auch den Rand nicht halten und haben ihre Emissäre in die Welt gesandt, damit auch Nichtflorentiner davon erfahren. Und was hat es ihnen gebracht, den Florentinern?

Massen.

Menschenmassen, die einander im Weg stehen; dokumentationssüchtige Zeitgenossen, die grundsätzlich im Schritt verharren, ohne ein Gefühl für ihren Platzbedarf im Raum und selbstverständlich ohne irgendwen anderen auch nur entfernt wahrzunehmen. Seltsame Geschöpfe, die dem Irrglauben erliegen, einen Dom mit dem Gesamtgewicht eines kleinen Planeten auf einem Handyfoto abbilden zu können, meist in Personalunion mit jenen, die ihre Selfie-Sticks virtuos als Vielzweckmordwaffe (Schlagen, Barren, Hauen, Stechen) einsetzen. Für Touristen, die aus unerfindlichen Gründen noch nicht mit so einem Ding ausgerüstet sind, hat der Florentiner Straßenhändler erschaffen, die dergleichen in einer Auswahl geschmacksarmer Neonfarben feilhalten. Bei Regen vertreiben dieselben Händler spontan Klappschirme, in den Zwischenwetterlagen Adapter.

Wo waren wir? Richtig, bei den Massen, die sich in einem ununterbrochenen Fluß auf einem relativ kleinen Areal bewegen. Wobei, nein, “bewegen” ist übertrieben. Haltlos übertrieben. Sie schieben einander hin. Und her. Und wieder hin. Und her. Dabei essen sie Eis und tropfen, essen was aus der Hand und bröseln, trinken was und tropfen, machen Lärm und machen Bilder, Bilder, Bilder, Greisenschwärme mit identischen Halstüchern, T-Shirts oder Kappen folgen seltsamen Frauen, die auf Stäben Tücher, Fähnchen, Teddybären vor sich hertragen, alle, alle, alle stehen Schlange, machen wieder Bilder, Bilder, Bilder (ich bin nicht sicher, ob irgendwer irgendwas ansieht, aber er macht auf jeden Fall ein Bild davon und zwei, fünf, sieben mehr, koscht ja nix), gehen woanders hin, machen da Krach und stehen für was anderes an.

Abends, wenn sie dann genug haben vom Besichtigungstourist sein, gehen sie in die Freßgaß, bestellen in einer unglaublichen Lautstärke, wovon sie anschließend zuviel essen und trinken. Oft brechen sie. Also, sie brechen vor, während und nach den Mahlzeiten in spontane Musikvorträge aus. Das weiß ich so genau, weil unser Zimmer im 4. Stock des wunderbar zentral gelegenen Palazzo an der Medici-Kapelle auf diese Gasse hinaus geht. Wir wohnen direkt im Schalltrichter, direkt unter dem Himmel sowie in Sichtweite unserer Nachbarn aus dem 5. Stock gegenüber; wenn wir uns jeweils weit genug aus dem Fenster lehnten, könnten wir einander die Hände schütteln. Das tun wir natürlich nicht, wir gucken stattdessen den drei Jungs im Dritten auf dem Rotenlakenlotterbett dabei zu, wie sie einander auf den Mobilgeräten herumdrücken (das sieht genauso übergriffig aus, wie es klingt) und dem Angehörigen der schreibenden Zunft an seinem überladenen Tisch vor dem mit mit unglaublichen Mengen an Zeugs vollgestopften Bücherregal bei seinen Fingerübungen in den sehr frühen Morgenstunden (das wiederum ist weniger übergriffig, als es klingt – er bedient mit stark gefurchter Stirn und Furor in den Fingern eine Reiseschreibmaschine).

Dem Sountrack dieser drei Florentiner Nächte werde ich einen gesonderten blogpost widmen; jetzt würden die Details den Rahmen sprengen.

Außer Soundtrack gabs nämlich bei uns Teresa. Nein, kein lokales Unwetter, sondern Straßensperren, Motorradeskorte, Staus – und das alles bloß, weil Frau May ihre Vorstellungen vom Brexit ausgerechnet in Florenz kundtun mußte und dafür ausgerechnet zur selben Zeit wie wir auf dem Florentiner Flughafen “Amerigo Vespucci” landete. Braucht keiner. In dieselbe Kategorie fällt der Lift unseres Hotels, der (wahrscheinlich altersbedingt) über eine ungeheuer kurze Aufmerksamkeitsspanne verfügte und schon Wimpernschläge, nachdem seine hoffnungsfrohen Passagiere den Knopf für ihr Stockwerk gedrückt hatten, alles wieder vergessen hatte. Vielleicht hatte ers auch einfach nur gerne, dass man ihm die Knöpfe drückte, wer weiß schon, was in einem Lift vor sich geht. Speziell in diesem: die Ankunft erfolgte immer Augenblicke, nachdem der letzte entstiegen , die Abfahrt (mehr so “der Absack”) ganz kurz, bevor eben dieser letzte mit Sack und Pack zugestiegen war. In den Zimmern führte das immer zu einer Art Gaslighteffekt. Wie gesagt: braucht keiner, ist aber wenigstens lustig.

Okay, was redet die Alte da? Sätzeweise Zeugs über einen Aufzug, dabei doch Florenz: Il duomo, die Uffizien, ois von dene Medici, der/die/das Ponte Vecchio, David, Palazzo Pitti, Giottos Glockenturm … Ja, richtig. Gibts da alles. Und noch viel viel mehr. Und hunderte, tausende, abertausende Menschen, die alle auch da sind, um sich das anzuschauen. Mich hat selten eine Stadt so dermaßen gestreßt wie Florenz. Rein wollte ich eh schon nirgends mehr, ich wurde schon beim Anblick der auf lange Wartezeiten eingerichteten Touristenschlangen vor jeder Attraktion aggressiv. Aber es war ja auch draußen unmöglich, sich mal irgendwas in Ruhe anzusehen; ich habe gestern Abend beim Duschen neun Rempelblauflecke gezählt, das sind neun zu viel, von Leuten, die mich mit ihren Selfie Sticks gestochen, anderen, die mich einfach mal kurz vom viel zu schmalen Gehsteig vor ein viel zu schnell heranbrausendes Auto geschubst haben, wieder anderen, die mit zugespitzten Ellenbogen meine paar Quadratzentimeter Platz erobern wollten. Nein, Florenz. Du kannst nix dafür, du bist schön, aber ich bin nicht der richtige Tourist für eine gäßchengeäderte mittelalterliche Stadt mit der Populationsdichte Dar es Salaams und mehr Lederwarengeschäften, als es Kuhhäute geben kann.

Ich mach jetzt Landflucht.

 

PS: Einmal wars richtig schön am Dom: da hatte es den ganzen Nachmittag aus Kübeln geschüttet, außerdem war es dunkel, Sonntag und Abendessenszeit. Das war das erste, einzige und letzte Mal, wo mehrere der großen Bodenplatten zusammenhängend sichtbar waren.

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