Besser als Sweeney Todd

Der Plan war, nach dem Mittagessen noch einen Kaffee zu trinken. Guter Plan. Aus dem Friseurladen direkt neben dem Café kam ein Herr in traditioneller Tracht geschossen, wie viele Bayern an Teint, Augenfarbe und Nasenform klar erkennbar als Nachfahre eines Besatzerkindes aus der Römerzeit. Aufgrund der Konversation zwischen meiner Freundin Gabi und Hakan, sah ich mich zu einer Korrektur gezwungen: Hakans Vorfahren gehörten dann doch eher zum oströmischen Imperium.

Wurscht. Viel wichtiger: Auf meiner Todo-Liste steht seit der Rückkehr vom Chiemsee ‘Endlich mal Spitzenschneiden’. Könnte Hakan vielleicht? Klar kann Hakan, aber nicht in einer Stunde, sondern gleich, weil in einer Stunde muß er der anderen Kundin im Laden den Henna-Baaatz aus den Haaren waschen. Auch recht. Planänderung. Erst Haare schön, dann Kaffee trinken.

Hakan gehört zu den Friseuren, die Kunden beim Scherenschwingen gerne ihre Lebensgeschichte erzählen und unterstützt das, quasi als Bonusprogramm, mit Bildmaterial aus den unzähligen Photoalben, die er einem anschleppt und kurz anblättert (wie Daumenkino, aber schneller). Ich war nur zum Spitzenschneiden und weiß jetzt alles über seine Herkunft, Papa, Mama, Bruder, Schwester, deren jeweilige Berufswahl sowie aktuelle Befindlichkeit, auch gesundheitlich, seine Leidenschaften (Wandern, Berge, Radfahren, Berge, Campen, Berge), die seinerzeitige Verschwörung des geldgierigen Moslemvereins gegen Cassius Clay, Gott habe ihn selig, die Weltreligionen (großer Mist, wofern monotheistisch) und Aufbau und Struktur des menschlichen Haares und dessen Pflege (mit Bildern). Wenn mir mal wirklich ganz arg fad sein sollte, dann lasse ich mir von ihm Strähnchen machen. Oder eine Dauerwelle.

Zwischendrin hatte Hakan immer noch Zeit genug, telefonisch oder persönlich weitere Kundentermine zu vereinbaren, der Henna-Dame die Wärmelampe mehrfach nachzujustieren, ein Käffchen zu trinken und für folgenden Dialog, der es bei mir ungeschlagen auf das Siegertreppchen in der Kategorie “Schönste Wortwechsel” (Unterkategorie “mitgehört”) geschafft hat.

Kunde [reißt die Tür auf und ruft in den Raum]: “Host in ana Stund Zeit für mi, Hakan?” [Schaut den Friseur (rotkariertes Hemd, Hirschlederne, gestrickte Ganzwadelwollschoner, handgenähte Haferlschuh’) von oben bis unten an und grinst zustimmend nickend]: “Fesch schaugst aus. Wia a richtiga Bayer.”

Hakan [schaut ebenfalls an sich herab und nimmt eine Hand in dieser Bewegung mit, endet fast in einer leichten elegant-galanten Verbeugung, grinst seinerseits und antwortet]: “Alles nur getürkt.” Hakan hat in mir eine neue Kundin.

Ach ja, und Kaffee trinken waren wir danach auch noch. Plan erfüllt.

Add a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *

five × four =